Trotz des regnerischen Wetters füllt sich der Wall-Saal der Zentralbibliothek bis auf den allerletzten Platz für die vorerst letzte Veranstaltung im Rahmen der Queer(L)it!-Lese-Reihe. Unter dem Titel Quersprechen sind die Autoren Daniel Schreiber und Jayrome C. Robinet mit ihren Büchern Allein und Mein Weg von einer weissen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund’ zu Gast. Britta Schmedemann, Diversity-Managerin der Stadtbibliothek begrüßt das Publikum und Heike Müller, Leiterin des virtuellen Literaturhauses, hält eine persönliche Eröffnungsrede über die Anfänge queerer Literatur, die in ihrer Studienzeit in den 90er Jahren noch als Nischenliteratur galt.
Im Anschluss übernimmt Thorsten Dönges vom Literarischen Colloquium Berlin (lcb) das Mikrofon und begrüßt die literarischen Gäste. Schnell stellt sich heraus, dass die Veranstaltung nicht ganz so verläuft wie geplant, was immer wieder für viele Lacher im Publikum sorgt. Jayrome C. Robinet stellt seinen Text Blume ohne Stiel vor, nachdem er eingangs auf der Bühne mit einem zu hohen Sessel zu kämpfen hatte, was er bei laufendem Mikro gern selbstironisch kommentiert. Damit hat er das Publikum nach wenigen Minuten voll auf seiner Seite. Moderator Thorsten Dönges stellt drei Fragen in die Runde:
Was ist euer Anspruch an queeres Schreiben? Welche Effekte kann queeres Schreiben haben und an wen richten sich eure Bücher?
Spoken Word Künstler Jayrome Robinet erwidert, dass Worte für ihn eine große Kraft und Macht besitzen. Sie bewirken Transformationen. Gleichzeitig dient queere Literatur auch einer ,,Transmission’’, die über Generationen weitergegeben wird und die auch das nichtqueere Publikum unterhalten und aufklären soll. Es ist ihm wichtig, Wissen zu transferieren, neue Sprechformen und ganz viel Empowerment zu vermitteln – in diese Tradition queeren Schreibens möchte Robinet sich stellen. Früher war diese von Leidgeschichten und Vorher-Nachher-Transformationen geprägt. Einer Reise von A nach B, von der er sich abwenden möchte. Für ihn gilt ein Sowohl-als-auch. Seine Bücher sollen nicht seine persönliche Geschichte behandeln, sondern die Gesellschaft analysieren.
Philosoph Daniel Schreiber hat einen anderen Anspruch an queere Literatur. Für ihn ist eine gute und ausgiebige Recherche die wichtigste Grundlage für seine Bücher. Er möchte sich den ,,unangenehmen’’ Fragen stellen, welchen man häufig eine vermeintlich wichtige Frage voranstellt, um sich den dahinter verborgenen Themen nicht widmen zu müssen. Schreiber selbst hat sich nie die Frage gestellt, ob seine Literatur queer ist, weil er es eben ist. In seinem Essay Allein geht es daher gar nicht um das Queer sein an sich. Ihm war es wichtig, die Bedeutung von traditioneller Freundschaft neu zu definieren, um Erfahrungsräume für sich und andere zu öffnen. In einem Punkt sind sich beide Autoren jedoch einig: Ihre Literatur richte sich an die Allgemeinheit und an all jene, die sich mit den Figuren in den Texten identifizieren können.
Für Daniel Schreiber geht es immer auch um Scham – ein mächtiges Gefühl, das jede Person aus ihrem Leben kennt. Darum geht es auch in einem Kapitel seines Essays, aus dem er im Anschluss liest.
Zwei queere Autoren blicken an diesem Abend aus zwei ganz verschiedenen Perspektiven auf ein facettenreiches Thema. Zum Abschluss überrascht Jayrome C. Robinet das Publikum mit einem Spoken Word Text als Freestyle Auftritt, bevor das Programm sich nach knapp zwei Stunden zum Ende neigt und beide Autoren unter lang anhaltendem Applaus die Bühne verlassen.
Text: Aileen Meyer