Dinge, an die wir nicht glauben (im Original Memorial) ist das Romandebüt von Bryan Washington. Bekannt geworden ist er durch den Kurzgeschichtenband Lot, der bisher leider nur auf Englisch erschienen ist.
In Dinge, an die wir nicht glauben werden zwei Geschichten erzählt: Im Zentrum stehen das Paar Mike und Benson, die gemeinsam in einem Appartement in Houston leben. Mike arbeitet als Koch, Benson in einer Kindertagesstätte. Ihre Beziehung ist schwierig, es kommt immer wieder zu lautstarken Streits und Auseinandersetzungen – manchmal auch zu Handgreiflichkeiten. Das Buch beginnt damit, dass Mikes Mutter Mitsuko aus Japan anreist, um ihren Sohn zu besuchen. Doch zeitgleich findet Mike heraus, dass sein Vater Eiju sterbenskrank ist und reist zu ihm nach Osaka – beide haben sich schon lange voneinander entfremdet, die spontane Entscheidung ihn zu besuchen hat viel mit dem Wunsch zu tun, sich kurz vor seinem Tod vielleicht doch noch auszusöhnen. Oder zumindest anzunähern. Währenddessen muss Benson plötzlich die Wohnung mit Mitsuko teilen, die er zuvor noch nie in seinem Leben getroffen hatte. Doch beide vereint das Gefühl, von Mike, dem Mann den sie lieben, im Stich gelassen worden zu sein.
Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt, im ersten Teil erzählt Benson davon, wie er sich in dem neuen Leben mit Mitsuko einrichtet – und sich gleichzeitig fragt, ob das Leben mit Mike ihn wirklich noch glücklich macht. Im zweiten Teil begleiten wir Mike durch die letzten Wochen mit seinem Vater: Eiju betreibt in Osaka eine Kneipe und wünscht sich, dass Mike diese nach seinem Tod weiterführen wird. Doch Mike, der fast sein ganzes Leben in Amerika verbracht hat, ist die japanische Kultur fremd – genauso fremd, wie ihm sein Vater ist.
Mich hat der Roman von Bryan Washington aus mehreren Gründen tief beeindruckt. Dinge, an die wir nicht glauben ist eine Geschichte über die Liebe: Es geht um die Liebe in Beziehungen, innerhalb der Familie und zu sich selbst. Das Buch ist aber kein Liebesroman. Es gibt kein Happy-End und keine Auflösung, am Ende des Buches bleibe ich mit dem Gefühl zurück, dass die Liebe ein komplexes und vielschichtiges Gefühl ist, das sich immer wieder verändern kann. Exemplarisch dafür steht eine Szene, in der sich Benson und Mike mitten in ihrer Trennungsphase mit Omar, dem neuen Freund von Benson, und dessen kleinem Bruder treffen. Es ist für alle Beteiligten ein bisschen unangenehm – und eine Konstellation, an die sie sich erst einmal gewöhnen müssen. Aber ich glaube, dass das eine Szene ist, in der sich viele queere Menschen wiedererkennen können, weil queere Familienmodelle manchmal genauso funktionieren.
Was dieses Buch aber auch besonders macht, ist die Perspektive, aus der es erzählt wird: Benson ist ein Schwarzer schwuler Mann, der HIV positiv ist. Ich habe davor noch kein Buch gelesen, das aus dieser Perspektive erzählt wird. Dabei wird nichts erklärt, es wird auch nichts eingeordnet, es wird einfach gezeigt – frei von Bewertungen. Wenn Benson zum Beispiel wegen seiner HIV Infektion das Medikament Prep einnimmt, gibt es keine erklärende Fußnote dazu. Das finde ich gut.
Bryan Washington hat dieses Buch für die eigene Community geschrieben, für uns – und nicht für ein neugieriges Publikum.
Es geht viel um Dating, um schwule Beziehungen, darum, welche Vorsichtsmaßnahmen Benson treffen muss, um verantwortungsvoll mit seiner Infektion umzugehen.
Bryan Washington hat ein schönes Buch geschrieben, ein trauriges, ein komplexes, ein Buch, das nicht immer einfach zu verstehen ist, voller Charaktere, die nicht immer einfach einzuordnen sind – ich habe mich selten zuvor so sehr in einer Geschichte gesehen gefühlt. Eine große Empfehlung, nicht nur für queere Menschen!
DINGE, AN DIE WIR NICHT GLAUBEN | Bryan Washington | Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence | ROMAN Kein & Aber | Zürich 2021 | 384 S. | €24,00