Eins wurde schnell klar bei der Lesung von Daniela Dröscher im Bremer Falstaff: Diese Schriftstellerin ist keine Einzelkämpferin! Auf die erste Frage von Moderator Jens Laloire danach, wie es sich angefühlt habe, mit dem Roman Lügen über meine Mutter (KiWi 2022) auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis zu stehen, berichtete die Autorin über ein starkes Gemeinschaftsgefühl zwischen den nominierten Autor*innen.
Auch ansonsten arbeitet Dröscher mit anderen zusammen, erzählte sie dem Publikum: als Ministerin im Ministerium für Mitgefühl zum Beispiel. Als Reaktion auf die Gründung des Heimatministeriums formierte sich diese inoffizielle Anlaufstelle 2018. „Empathie steht ganz im Zentrum von Literatur“, sagte Dröscher, und berichtete von Sprechstunden, in denen sie und die anderen Minister*innen ihr Mitgefühl trainierten. Dröschers Bücher entwickeln sich auch durch den regen Austausch mit anderen Schreibenden: „Diese vielfältigen Perspektiven können einen Text nur besser machen.“
Im Anschluss an den ersten Teil des Gesprächs las Daniela Dröscher aus ihrer Kolumne für das digitale Literaturmagazin. Anschließend wendete sich das Gespräch dem Thema Klasse zu, dem nicht nur die Kolumne gewidmet ist, sondern das auch im Roman Lügen über meine Mutter ein bestimmender Faktor ist: Die dargestellte Familie kämpft um den Aufstieg aus der Arbeiter- in die Mittelklasse. Die Handlung und Stimmungen des Romans konnten die Zuhörer*innen durch zwei Leseabschnitte kennenlernen, die für Lacher genauso wie für Betroffenheit sorgten.
Für Daniela Dröscher spielt Klasse aber auch darum eine Rolle, weil sie darüber mitentscheidet, wer eigentlich in der Literatur Gehör findet und welche Themen in Erscheinung treten. Das sind vor allem Kinder aus Akademikerhaushalten. „Ich habe mich echt geschämt“, erzählte die Autorin, als sie vom Austausch mit anderen jungen Autor*innen berichtete, denen sie nicht habe erzählen können, dass ihre Eltern keine höhere Bildung hatten.
Ins Schwärmen geriet die Autorin beim Gespräch über ihre literarischen Vorbilder Annie Ernaux und Christine Nöstlinger. Beide schreiben, so Dröscher, in der Absicht, verstanden zu werden, „zugänglich, aber nicht unterkomplex“. Ähnlich versucht auch Daniela Dröscher in Lügen über meine Mutter zu schreiben und sich so der eigenen Familiengeschichte autofiktional anzunähern. Während der Kern wahr ist, sind viele Details, Figuren und Handlungen erfunden – welche bleibt aber ein Geheimnis, in das nur die Gäste im Falstaff einen kleinen Einblick bekommen durfte. Dass der Roman mit dieser Geschichte ein breites Publikum anspricht, bewiesen nicht nur die Erzählungen der Autorin, sondern auch die vielen Fragen, die im Anschluss an das Gespräch gestellt wurden. Ein schöner Abend ging – mit 15 Minuten Überziehung – viel zu schnell vorbei.
Text: Annika Depping