Wenn es um queere Literatur geht, dann müssen es nicht immer Romane sein – auf dem deutschsprachigen Buchmarkt gibt es auch immer mehr Graphic Novels, in denen mitunter bemerkenswerte queere Geschichten erzählt werden. Das Besondere an Graphic Novels ist für mich, dass nicht alles auserzählt und erklärt werden muss, sondern manches auch einfach nur gezeigt werden kann. Ich habe mir für meine Kolumne drei Graphic Novels herausgesucht und stelle sie euch vor. Alle drei haben gemeinsam, dass sie von einer Welt erzählen, die in der Literatur oft noch zu kurz kommt: von trans Menschen, von nicht-binären Menschen oder queeren Wahlverwandschaften. Wie schön, dass es das gibt – hoffentlich werden es im Laufe der nächsten Jahre noch viel mehr Geschichten, die erzählt werden dürfen!
In Lee Lais Graphic Novel Steinfrucht geht es um die Geschichte von zwei Frauen: Bron und Rays Beziehung ist im Laufe der Jahre immer brüchiger geworden. Schöne Momente sind selten geworden – es gibt sie nur noch, wenn sie gemeinsam auf Rays Nichte Nessie aufpassen. Nessie ist ein verspieltes, abenteuerlustiges und glückliches Kind – wenn die drei gemeinsam Zeit verbringen, erschaffen sie eine Welt voller Magie. Als Bron und Ray feststellen, dass sie mit ihrer Beziehungsidee gescheitert sind, versuchen beide die gekappten Verbindungen zu ihren Familien zusammenzuflicken. Ray beginnt damit, wieder mehr Zeit mit ihrer Schwester zu verbringen und Bron reist nach langer Zeit zum ersten Mal wieder in ihre Heimatstadt. Fünf Jahre lang hatte Bron keinen Kontakt mehr zu den eigenen Eltern. Sie wurde von ihnen nie als trans Frau akzeptiert. Die religiösen Eltern dachten, ihr Kind sei mit Kirchenbesuchen und einer Konversionstherapie wieder zu heilen. Doch sind ihre Herkunftsfamilien wirklich der Ort, an dem sie glücklich werden können?
Lee Lai erzählt eine oft schmerzhafte Geschichte über den Wunsch nach Zugehörigkeit und die Suche nach der eigenen Identität. Wie finde ich den Ort, an dem ich ich sein darf? Geschichten über queere Beziehungen werden leider oft noch zu selten erzählt, um so schöner, dass in diesem Fall auch noch eine trans Frau zu den Hauptfiguren gehört.
Für eine Graphic Novel ist Dragman ungewöhnlich dick, aber ich habe die 330 Seiten an nur einem Tag verschlungen. In Dragman geht es um August Crimp, der nicht nur Ehemann und Vater ist, sondern auch ein geheimer Superheld: wenn August in ein Kleid schlüpft, dann hat er die Superkraft zu fliegen und wird zu Dragman. Obwohl er sich glücklich und erfüllt fühlt, sobald er fliegen kann, hat er trotzdem das Gefühl, diesen Teil seines Lebens vor seiner Frau Mary verheimlichen zu müssen – dabei geht es um Scham, aber auch um die Angst, gedemütigt oder abgewertet zu werden.
Steven Appleby hat in seiner Graphic Novel eine Welt erschaffen, in der sich Superheld*innen in einer Art Konzern zusammen organisiert haben: sie lassen sich ihre Arbeit bezahlen und retten Menschen nur dann, wenn diese ihre Versicherungen beglichen haben. Weil Dragman von den anderen Superheld*innen verstoßen wurde, hat er seine Kleider eigentlich schon vor längerer Zeit an den Nagel gehängt, doch als ein mysteriöser Serienkiller auftaucht, kehrt er wieder aus dem Ruhestand zurück.
Superheld*innen und Serienkiller sind eigentlich nicht mein Themengebiet und trotzdem konnte ich Dragman nicht aus der Hand legen – während in vielen queeren Geschichten traurige und schwere Themen verarbeitet werden, steht hier Freude und Witz im Vordergrund.
Tillie Walden ist für mich eine der spannendsten queeren Stimmen, die es im Bereich Graphic Novel derzeit gibt. In Auf einem Sonnenstrahl erzählt sie eine queere Liebesgeschichte, die vor allem deshalb außergewöhnlich ist, weil sie im Weltraum spielt.
Weil Mias Schulabschluss ziemlich schlecht ist, sind ihre beruflichen Möglichkeiten begrenzt – sie entscheidet sich deshalb dazu, auf einem Raumschiff anzuheuern und im Weltall zerfallene Architektur zu restaurieren. Ihre Begleitung auf dem Raumschiff ist ein lesbisches Ehepaar, deren Nichte und eine nicht-binäre Person. Bei ihrer Arbeit, muss Mia immer wieder an ihre Mitschülerin Grace denken, mit der sie eine kurze aber intensive Beziehung hatte. Grace war plötzlich an der Schule aufgetaucht und genauso plötzlich wieder verschwunden. Gemeinsam mit ihrer neuen Wahlfamilie begibt Mia sich mit dem Raumschiff auf die Suche nach der verschwundenen Grace.
Tillie Walden erzählt von Liebe, Freundschaft, Wahlverwandschaft und davon, dass wir – egal wie alt wir sind – immer noch wachsen und Dinge verändern können. Niemals stehen bleiben, niemals aufgeben, niemals aufhören anzufangen. Das ist oft schön, oft berührend und manchmal witzig.
STEINFRUCHT | Text und Zeichnung: Lee Lai | Übersetzung: Henrieke Markert | COMIC avant Verlag | Berlin 2021 | 230 S. | €28,00
DRAGMAN | Text und Zeichnung: Steven Appleby | Übersetzung: Ruth Keen | COMIC Schaltzeit Verlag | Berlin 2020 | 336 S. | €29,00
AUF EINEM SONNENSTRAHL | Text und Zeichnung: Tillie Walden | Handlettering: Olav Korth | Übersetzung: Barbara König | COMIC Reprodukt Verlag | Berlin 2021 | 544 S. | €29,00