Queere Literatur konnte man früher höchstens in den hintersten Ecken von Buchhandlungen finden, heute gewinnt sie Preise. So wie zuletzt Antje Rávik Strubel, die für ihren Roman Blaue Frau mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet wurde.
Mit diesen Worten begrüßt Heike Müller, Leiterin des virtuellen Literaturhauses Bremen, das Publikum. Um queeren Stimmen in der Literatur Raum zu geben, wurde die Veranstaltungsreihe Queer (L)it! ins Leben gerufen, in deren Rahmen Linus Giese an diesem Abend aus seinem Buch Ich bin Linus in der Stadtbibliothek Bremen liest. Giese ist Buchhändler, -blogger, trans Aktivist und Autor. 2019 erschien sein Buch, in dem er von seiner Transition und seinem Leben als trans Mann erzählt. Mit dem Buch möchte er vor allem helfen, denn er hätte so ein Buch in seiner Jugend gut gebrauchen können. Ein Buch, das erzählt, wie der Alltag als trans Person aussehen kann, was es für Hürden aber auch für Erfolge gibt, wie der bürokratische Weg zur Namensänderung aussieht und vieles mehr. So persönlich wie das Buch, ist auch die Lesung mit Linus, die von Katharina Guleikoff moderiert wird.
Die erste Frage, die Guleikoff Linus stellt, ist simpel und doch höchstpersönlich:
„Linus, bist du glücklich?“
Diese Frage kann Linus bejahen. Zum ersten Mal, sagt er, sei er an einem Punkt, wo er größtenteils glücklich und zufrieden ist. In den letzten vier Jahren sei er den richtigen Weg gegangen. Vier Jahre, das ist die Zeitspanne, die seit seinem Coming Out als trans Mann verstrichen ist. 2017 hat er sich im Alter von 31 Jahren das erste Mal in einem Starbucks am Frankfurter Hauptbahnhof geoutet. Das Café war so voll, dass der Barista nach einem Namen gefragt hat, den er auf den Kaffeebecher schreiben kann und zum ersten Mal war die Antwort des Autors auf diese Frage: „Linus.“ Diese Stelle liest er dann auch bei der Lesung vor. Es ist das erste Kapitel aus seinem Buch.
Später liest Linus noch zwei weitere Passagen. In der einen beschreibt er seinen ersten Besuch in der Herrenabteilung eines Bekleidungsgeschäfts. Dabei wird deutlich, wie viele Orte in unserer Gesellschaft nach binären Geschlechtern getrennt sind – und wie absurd das teilweise ist. Und trotz dieser Hürden, die trans oder nicht-binären Personen im Alltag immer wieder begegnen, blickt Giese mehr auf die Dinge, die ihn euphorisch machen als dysphorisch, wie zum Beispiel das Gefühl, zum ersten Mal Kleidung in der Herrenabteilung zu kaufen, die ihm richtig gefällt. Durch seine positive und nahbare Art entsteht eine persönliche Atmosphäre bei der Lesung, die der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht wird und dennoch Raum für lockere Stellen und gelegentliche Lacher auf beiden Seiten lässt. Wie als Linus erzählt, dass er anfangs dachte, er müsse jetzt Männerzeitschriften statt Frauenzeitschriften lesen und erst mal gegoogelt hat, was es da so gibt. Das Ergebnis der Google-Suchanfrage kann man sich vorstellen.
Aber natürlich gibt es hinter solchen Rollenklischees auch eine Verbindung zu ernsten und wichtigen Themen wie Gewalt, Repräsentation und Akzeptanz. Linus betont im Laufe der Lesung mehrmals, dass er anderen mit seinem Buch und seiner medialen Präsenz auf Social Media helfen will. Deshalb ist er so offen, aber damit macht er sich natürlich auch verletzlich und angreifbar. Fremde Menschen haben zum Beispiel seine Adresse herausgefunden und standen wiederholt vor seiner Tür. Ob er seine öffentliche Präsenz auch schon bereut habe? – „Manchmal jeden Tag“, lautet die Antwort. Manche Dinge würde er heute nicht mehr posten oder anders machen, aber er hat damals einfach gemerkt, dass viele Leute Fragen haben, die er helfen wollte, zu beantworten. Er hofft weiterhin auf mehr Wissen, ein diskriminierungsfreies Leben und politische Verbesserungen wie ein Selbstbestimmungsgesetz statt dem geltenden Transsexuellen-Gesetz.
Am Ende beantwortet Linus noch Fragen aus dem Publikum. Dabei erzählt er teils lustige Situationen aus seinem Arbeitsalltag bei She Said – einer queer-feministischen Buchhandlung in Berlin, die keine Bücher von heterosexuellen cis Männern verkauft. Noch gibt es viel Verbesserungsbedarf auf dem deutschen Buchmarkt und Giese wünscht sich mehr Mut bei den Verlagen, um queeren Themen und Autor*innen Raum zu geben. Die sehr gut besuchte Lesung hat an diesem Novemberabend gezeigt, dass es großen Bedarf danach gibt.
Text: Carmen Simon Fernandez
Mehr von Linus Giese
Im Rahmen von Queer (L)it! startete am 1. September die queere Buchkolumne #queerupyourlife von Linus Giese. Darin berichtet Giese von seiner Arbeit bei She said, einer queerfeministischen Buchhandlung in Berlin. Oder er gibt Tipps für Bücher, die queere Themen behandeln. Mal sind es Romane, mal Graphic Novels oder Kinder- und Jugendbücher. Bis Anfang Dezember gibt es alle zwei Wochen einen neuen Text zu einem anderen Thema.