Bagel
Der Bagel war hier. Aber wo der Bagel herkommt, bleibt ungeklärt. Da er vorm Backen gekocht wird, entzieht er sich der Kategorie Brot. Mit Loch in der Mitte ist er schneller fertig.
Rund wie er ist, gilt er als Glücksbringer und wird anlässlich Geburt oder Trauer in der jüdischen Kultur verzehrt.
ungeklärt
entzieht er sich
mit Loch in der Mitte
Kultur verzehrt
Wieso ist alles immer so ungeklärt? Ich bin genervt davon! Die Klarheit entzieht der Unklarheit das Unklare. Mit Loch in der Mitte versucht die Klarheit ihr Fundament zu halten. Sie lässt die Klarheit
durch. Je größer die Klarheit, desto größer das Loch der Unklarheit. Ohne die Unklarheit kann die Klarheit das Loch der Unklarheit jedoch nicht mehr verzehren. Alles ist immer so ungeklärt. Gut so.
Ohne die Unklarheit gäbe es nämlich die Klarheit nicht.
Wie zum Fick soll ich dahin!?!
(Ziele, Distanzen, Hürden, Disziplin, Wettbewerb, Willenskraft, Optimismus)
Es ist Sonntag morgen, die Sonne scheint in das Schlafzimmer, ihre Schatten zeichnen die Unruhe der Stadt auf der Zimmerwand ab. Es ist früh und dabei zu spät. Ein inneres Rumoren lässt die Müdigkeit vom Schlafen erwachen. Die Müdigkeit erwacht und bildet die Stimmung vom Tag. Träge, 3/4 geöffnete Augen versuchen angestrengt den Sonnenstrahlen den Eingang zu verwehren.
Unruhe der Stadt
früher und dabei zu spät
die Müdigkeit erwacht
Augen
In anderen Kontexten denkt man die Müdigkeit von den Augen her. Dabei ist es schwer aus dieser Perspektive zu wissen, ob die Müdigkeit erwacht, sobald die Augen geöffnet werden oder das lange Offenhalten der Augen die Müdigkeit erweckt. In einem anderen Kontext wiederum hat die Müdigkeit die Verbindung zu den Augen Grundsätzlich aufgegeben. Temporär passen sie nicht zueinander. Die Linear angenommene Zeit stürzt ineinander zusammen – früher und dabei zu spät. Das kann nicht über die Augen wahrgenommen werden. Das Zusammenstürzen der Zeit grenzt an die äußeren Ecken der Müdigkeit. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass alle Müdigkeit geradlinig ist und in Ecken zusammenläuft. Das wiederum wäre ein visuelles Wahrnehmen und, nun ja, die Müdigkeit kann hier eben nichts mit den Augen in Verbindung gebracht werden.
Was in vielen Kontexten als wahrscheinlich angenommen wird, ist dass es einen Zusammenhang zwischen der Müdigkeit und der Unruhe der Stadt gibt. Forschungen haben die Möglichkeit eröffnet, diesen Zusammenhang als rund anzunehmen. Kein visuelles Rund, sondern ein körperliches, ein verkörpertes, ineinander greifendes Rund – die Unruhe ist früher spät als die zu späte Frühe der Müdigkeit. Eine Verrenkung der Gedankenstränge, auch durch Müdigkeit ausgelöst.
Ich würde in ROT schreiben, wenn ich könnte :(
Rot würde mich schreiben, wenn es könnte. In feinen Linien auf der Hautoberfläche und über die Füße in den Boden hinein, über die Hände auf die Aluminiumplatte, die sich eng um die Litfasssäule schmiegt. Und dann entlang der Blauen Linien – Zeile für Zeile sich um den großen Körper schmiegen, eine zirkuläre Choreografie der Farbe. Rot würde mich schreiben.
mich schreiben
fein
Hautoberfläche
zirkuläre Choreografie
„Hast du daran gedacht?“ Sie atmet leise die angenehm kühle Luft ein und aus, etwas schnell geht ihr Atem als der halb geschlossene Vorhang, der vom leichten Sommerwind in das Zimmerfenster hinein und hinaus geweht wird. Sie betrachtet ihre Hautoberfläche und wie einige der feinen Härchen, ganz weißlich von der Sonne der letzten Wochen, zart vibrieren. Ihr ganzer Körper ist von diesen Härchen übersät, aber um sie zu sehen, muss man sich nah genug sein. „Ich meine, konntest du dich dieses Mal daran erinnern?“ Fragt sie noch einmal. Ihr Stimme ist gedämpft und sie spricht langsam, ihre Augenlieder sind geschlossen. Sie lässt ihre Fingerkuppe langsamstmöglich und mit gerade so viel Druck, dass sie ihre Haut und nicht die Luft berührt, über ihren Körper streifen. Sie ist halb bedeckt vom Laken, das in diesen Wochen der Hitze ihrer Bettdecke ersetzt. Sie lässt ihr Gesicht ins Kissen fallen, durch ihre Nase strömt, statt Luft, die Erinnerung. Der Duft der Wiederholung, die Bilder des Sommers all der Jahre ihres Lebens. Und vielleicht auch all der anderen Sommer, die vor ihren gewesen waren. Mit einem leichten Seufzen dreht sie ihren Kopf auf dem Kissen, die blinzelt am Vorhang vorbei und lässt ihren Blick in den langsam abendlichen Himmel fallen. „Ja, ich erinnere mich wieder“, antwortet sie mit warmerStimme, „Du dich auch?“
Kein visuelles Rund, sondern ein körperliches, ein verkörpertes, ineinander greifendes Rund
Mit Loch in der Mitte ist er schneller fertig.
Sprudelnd spritzt das Fett in der Frisöse, wenn die runde Kugel hineingeworfen wird. Der mehlige, salzig-süße Hefeklumpen wird durch seinen Quarkanteil erst richtig saftig. Mit Zucker umhüllt ist er attraktiv und drängt sich auf, verschlungen zu werden. Schlottrig, luftig wird er durch Zähne und Speichel in den Körper eingeladen. Das Loch in der Mitte des Magens wird bad gefüllt sein. Die
Zuckerkristalle wandern in einem mordstempo in das Gehirn, um das Dopamin zu wecken. Das ist nämlich häufig spät dran und meist nur durch intensive, harte Impulse zu motivieren. Wenn es dann einmal motiviert ist, verliert es schnell sein Motiv und legt sich wieder schlafen. Das Loch in der Mitte des Magens ist also gefüllt. Die schlottrige, luftige Masse ist zu einem matschigen Brei verwandelt worden – ein Körper ist im Körper durch einen anderen Körper in einen neuen Körper verwandelt worden.
Jetzt sitzt dieser neue Körper im Loch der Mitte des Magens und hat versprochen ihn zu füttern. Ein verkörpertes, ineinandergreifendes Rund, das gar nicht rund, sondern matschig ist. Kein visuelles Rund eben, sondern ein körperliches? Schnell ist das Loch in der Mitte des Magens nicht mehr gefüllt, sondern wieder Loch.
drängt sich auf verschlungen zu werden
Zuckerkristalle wandern
Wenn es dann einmal motiviert ist, verliert es schnell sein Motiv
Körper durch einen anderen Körper in einen neuen Körper
Übellaunig rührt R. im Kaffeebecher. Der Metalllöffel klimpert dabei einen unregelmäßigen Rhythmus. R. legt einen weiteren Zuckerwürfel nach. Geistesabwesend bleibt ihm das Schauspiel
leider verwehrt:
Wie der Zuckerwürfel aus R.s fleischigem Fingergriff in den Becher plumpst, wie der Würfel mit einer Ecke zuerst die braune Flüssigkeit berührt und dann direkt von ihr verschlungen wird. Wie die gebrochene Oberfläche 2-3 Tröpfchen bildet und diese der Schwerkraft trotzend R. entgegen springen. Nun hätte R. die Chance, den Atem haltend zu beobachten, wie sich die Kaffeeoberfläche beruhigt und sich nach und nach die tosende See in einen spiegelglatten Bergsee verwandelt. R. könnte dann einen kurzen Blick auf sich selbst erhaschen und bemerken, dass die 2-3 Tröpfchen Kaffee bis an sein Brillenglas empor gehüpft sind. Stattdessen rührt R. übellaunig mit dem Löffel weiter im Becher und das noch ehe der Zuckerwürfel an den Boden gesunken ist. R. rührt und rührt und rührt und rührt und bemerkt, dass ihm dabei der Grund für die Übellaunigkeit entfallen ist. Und um ja übellaunig bleiben zu können, rührt R. sich einen neuen Grund herbei. R. rührt so stark dass der Kaffee über den Rand schwappt. Befriedigt und angeheizt von dem neuen Schwall Übellaunigkeit springt R. auf und stößt dabei geschickt so gegen den runden Holztisch, dass der Kaffeebecher umfällt und der übrige Kaffee R.s Übellaunigkeit den Rest gibt.
Träge 3/4 geöffnete Augen versuchen angestrengt den Sonnenstrahlen den Eingang zu verwehren.
Sie lässt ihre Fingerkuppe langsamstmöglich und mit grade so viel Druck, dass sie ihre Haut und nicht die
Luft berührt, über ihren Körper streifen.
Manche Tage eignen sich gut, um die wärme der Sonnenstrahlen zwischen den Fingerkuppen tanzen zu lassen. Die Finger können, anders als unsere menschlichen Augen, nämlich direkt und unverfroren in die Sonne blicken. Die Haut wird dabei eingewickelt in die sonnendurchtränkte Luft. Ohne Druck, träge und langsamstmöglich sinkt die Wärme in den Körper. Sickert durch die Durchlässige Oberfläche, verzweigt über Nervenden – ein Netzt, das von der Luft getragen über den Körper streift. Außen in Innern – Durch und Quer. Die Fläche der Fingerkuppen – auch zusammengenommen – ist klein. Wie würde es sich wohl anfühlen, die Sonne nur an genau diesen Körperstellen zu spüren? Einen Handschuh tragend, der nur die Fingerkuppen freiließe – kleine oval bis runde Aussparungen, die Brille der Finger. Hier konzentriertes Gespür für filterlose Wärme – die Haut als Filter – durchlässig porös und reaktiv. Die Luft als Trägerinnenmaterial der wellenförmigen Wärme.
direkt und unverfroren
Außen in Innern
konzentriertes Gespür
filterlose Wärme
Die direkte Kälte kann manchmal ganz schön überwältigend sein. Unverfroren startet der morgen und plötzlich steht sie da. Außen im Inneren, da wo die Welt in mich hineindringt, wo die Poren meiner Haut die Tür öffnen. Das Erstarren, wenn aus dieser kalten Brise plötzlich das konzentrierte Gespür gefiltert wird und alle Nerven nervt. Meistens informiert der eine genervte Nerv den Nächsten und somit ist bald das gesamte Nervensystem genervt. Die Hilflosigkeit über diesen Zustand löst dann häufig genau das aus, was die genervten Nerven noch mehr nervt und dann gibt es nur eine Lösung: ungefilterte Wärme. Diese ist rettende Kraft in der größten Not und kommt in günstigen Fällen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Sie entstört und belustigt die Nerven. Verpasst sie es zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, gibt es die sogenannte gefilterte Wärme, die als Übergangshilfe einspringt, bis die ungefilterte Wärme den richtigen Zeitort gefunden hat. Gefilterte Wärme kennen wir als Bewegung: unkontrolliertes Drehen, riskantes Springen oder exzessives Küllern.
Meistens hilft es nicht sich auf die ungefilterte Wärme zu verlassen.
In feinen Linien auf der Hautoberfläche und über die Füße in den Boden hinein, über die Hände auf die Aluminiumplatte, die sich eng um die Litfasssäule schmiegt.
Ohne die Unklarheit kann die Klarheit das Loch der Unklarheit jedoch nicht mehr verzehren
Spannungskopfschmerzen suchen ihn in Momenten der Unklarheit heim. Unklar erscheint mir immer dann alles, wenn nichts konkret ist. Wenn sich niemand festlegen will, wenn es drei
Veranstaltungen an einem Abend gibt, aber erst last-minute entscheiden wird, welche die beste ist. Wenn etliche Pläne für den Sommer möglich wären, ich aber über Pläne planen nicht hinauskomme und die Pläne bis zum Herbst Pläne geblieben sind. Mich ja nicht festlegen, alle Optionen offenhalten. Beruflich, beziehungstechnisch, Meinungen, Geschmäcker. Aus Angst vorm Konkreten bleibe ich unklar, offen, unentschieden. Und dann, paradoxerweise konkretisiert es sich von allein. Nicht der Sommerurlaub leider, sondern es konkretisiert sich im Kopf beziehungsweise auf der Kopfhaut. In feinen Linien ziehen sich die Spannungen fest um meinen Kopf, über den Nacken in die Schultern und Arme und über den restlichen Körper bis in die Füße in den Boden. Der verzweifelte Versuch, das Konkretwerden zu vermeiden, mündet im Erstarren. Im Erstarren im Unkonkreten.
Spannungskopfschmerzen
über Pläne planen nicht hinauskomme
paradoxerweise
auf der Kopfhaut
Da ist dieser Plan. Er zieht sich, stülpt sich wie eine Plane über die Kopfhaut. Eine hauchdünne Schicht, von der Stirn zu den Ohrläppchen und bis zum Wirbel im Nacken. Er sitzt nicht ganz fest, gleitet, wie auf einer geleeartigen Schicht – mal ein wenig nach hinten, mal seitlich zum Ohr.
Obwohl es ein zärtliches Gleiten ist, erzeugt dieser planenenartige Plan Spannungskopfschmerzen. Vermutlich durch die Nähe zur Kopfhaut. Die Kopfhaut ist für gewöhnlich eher nackt, bis auf die Haare. Gelee ist da schon eher die Ausnahme. Die Kopfhaut wird durch die Plane eingeschränkt, kommt nicht über die Plane hinaus, kommt nicht über die Pläne hinaus. Wären die Kopfschmerzen nicht, könnte man sich in der Situation einrichten. Den Gelee hatte man aber gar nicht eingeladen unter der Plane zu verweilen. Paradoxerweise stellte die Plane fest, dass, um als Plan fortbestehen zu können, die Geleeschicht, wenn auch ursprünglich nicht eingeladen, doch unerlässlich sich entpuppte, damit der Plan Plan bleiben konnte. Auf der Kopfhaut – spannend im Spannungsverhältnis.
Carla Anacker, Julia Höft und Emilia Sting
arbeiten seit 2022 als Kollektiv gemeinsam an der Schnittstelle zwischen Sprache, Installation, Skulptur, Performance und Film. Sie haben sich 2018 im Studium Integriertes Design an der Hochschule für Künste Bremen kennengelernt und im vergangenen Jahr gemeinsam ihre Abschlussarbeiten im Hans-Otte-Klanghaus. in der Weserburg ausgestellt. Im Moment beschäftigen sie sich mit dem Prozess des Schreibens als Kunstform.