Das Förderprogramm „Tapetenwechsel – Ein deutsch-tschechischer Literaturaustausch“ ist eine Form der Schriftsteller*innenförderung, die es Autorinnen und Autoren aus Deutschland ermöglicht, sich während eines Aufenthalts in Tschechien ganz ihren künstlerischen Tätigkeiten zu widmen. Im Jahr 2022 hat die Jury den in Kiew geborenen Schriftsteller Dmitrij Kapitelman für das Stipendium in Prag ausgewählt.
Dmitrij Kapitelman arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Er kam 1986 in Kiew zur Welt und als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling 1994 nach Deutschland. Es folgte das Masterstudium an der Deutschen Journalistenschule in München. 2016 erschien sein Debütroman Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters bei Hanser Berlin. 2021 folgte Eine Formalie in Kiew. Kapitelmans Reportagen und Essays fokussieren oft Fragen des staatlichen und gesellschaftlichem Umgangs mit Rechtsextremismus und Migrationspolitik.
„Die Fremde ist mir bisher stets eine sichere Souffleuse gewesen. Denn ich finde große schriftstellerische Freiheit darin, an Orten zu sein, wo es mich weder von der Idee, noch vom Melderegister her gibt. Und doch bin ich ja da. Mit all der Zeit und den Augen eines bereitwillig Verirrten. Manchmal stundenlang an einer Kreuzung verharrend, weil die Stadtbewohner nirgends sonst so schnell zu laufen scheinen. An anderen Tagen beobachte ich Museumswärter. In Chicago sah ich mal eine Frau im Monet-Raum tanzen, so hat sie sich wohl Dienststunden und auch Rückenschmerzen vertrieben. Tanzen die Museumswärter in Ostrau manchmal auch auf? Ach ich weiß ja, Sie dürfen mir das nicht vorher verraten. Aber ich wüsste es wirklich gern. Frei-fremd und somit in der Pflicht, mein Umfeld von Blick zu Blick zu erschließen. Diesen Zustand, im süßen Juni, und noch viel länger in Texten, den ersehne ich sehr.“
Aus der Bewerbung von Dmitrij Kapitelman
Dazu die Jury über ihre Entscheidung: Dmitrij Kapitelman setzt in seiner Bewerbung auf die Begegnung mit dem Fremden und vertraut auf seine Beobachtungsgabe in einem für ihn unbekannten Raum. Das frei und fremd Sein ist ihm nachgerade literarisches Programm. Sein Ansatz umfasst dabei das Alltägliche und das Besondere gleichermaßen. Seine unbeschwerte poetische Art, seine unverstellte präzise Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, den flüchtigen Moment in einem klaren, mit wenigen Strichen skizzierten Bild einzufangen, haben die Jury beeindruckt. Kapitelmans Art der wahr- und teilnehmenden Beobachtung verspricht Texte, die der Gefahr der herkömmlichen Prag-Klischees entkommen und den Blick für das Gegenwärtige schärfen, urteilte die Jury.
Dmitrij Kapitelman hat sein vierwöchiges Aufenthaltsstipendium am 1. Juni 2022 in Prag angetreten.
Die Jury: Dr. Silke Behl (Virtuelles Literaturhaus Bremen e.V.), Libuse Cerna (Globale e.V.), Philine Griem (Künstlerhäuser Worpswede e.V.)
Das Förderprogramm „Tapetenwechsel – Ein deutsch-tschechischer Literaturaustausch“ wird realisiert vom virtuellen Literaturhaus Bremen e.V., Globale e.V., den Künstlerhäusern Worpswede e.V., dem Tschechischen Literaturzentrum (Sektion der Mährischen Landesbibliothek) und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.