#111 Ika Sperling: "Ich bin vorsichtig zu sagen, dieses Buch war therapeutisch" [28:39]

17. April 2025

Ika Sperling
© Gregor Stockmann

Wie ist es, einen Angehörigen an Verschwörungserzählungen zu verlieren? Ika Sperling hat einen Erfahrungsbericht in Graphic Novel-Form dazu herausgebracht und sagt: „Ich glaube, es ist ein aktuelles Thema, was Menschen auch weit über die Pandemie interessieren wird.“ Über Storyboards, Selbsthilfe-Gruppen und Feuchtpräparate – und wie dies alles zur Genese ihrer Graphic Novel Der große Reset beigetragen hat – spricht Ika Sperling im Literaturhaus Podcast mit Sophie Anggawi.

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Sophie Anggawi
Heute zu Gast bei uns im Literaturhaus Podcast ist Ika Sperling. Ika ist Comic-Zeichnerin und Illustratorin. Letztes Jahr kam ihre Graphic Novel „Der große Reset“ im Reprodukt Verlag heraus. Und für dieses Debüt wurde sie direkt auch ausgezeichnet mit dem Hamburger Literaturpreis. Unter anderem darüber wollen wir heute reden im Podcast. Hallo Ika!
Sag mal, deine Graphic Novel, die heißt Der große Reset. Magst du einmal erzählen: Das ist ja auch autofiktional angelegt. Was ist denn die Geschichte dahinter?

Ika Sperling:
In dem großen Reset geht es darum, einen Angehörigen an eine Verschwörungsideologie zu verlieren. So fasse ich das immer gerne in so einen Satz zusammen. Und das Buch ist autofiktional. Also es ist so ein bisschen an meinen Erfahrungen mit meiner Familie und meinen Vater angelehnt. Also alle Figuren heißen anders und sehen auch anders aus und haben nicht mehr so viel mit meiner richtigen Familie zu tun.
Also das ist nicht so passiert, wie es in dem Buch ist.

Sophie Anggawi:
Aber die Hauptfigur heißt auch Ika.

Ika Sperling:
Ja, da dachte ich mir, ich kann mir aussuchen, ob ich bei dem Quatsch mitmache, aber meine Familie natürlich nicht. Ja.

Sophie Anggawi:
Und deswegen hast du dich dafür entschieden, dann deinen Namen zu nutzen?

Ika Sperling:
Ja, und weil ich dachte, ich glaube, ich zeichne mich selber sowieso gerne. Und ich mir dachte „okay, komm, es wissen sowieso alle, dass das ich sein soll“. Ich kann jetzt die Figur noch mal anders benennen, aber ja. Oder ich kann sie einfach wie mich selbst benennen. Dann passt das auch.

Sophie Anggawi:
Was ich total schön fand beim Lesen von „Der große Reset“ ist, dass eigentlich alle Figuren sehr menschlich sind. Also alle sehen aus wie halt Menschen aussehen. So ein bisschen natürlich, aber auf diese Comic Art und Weise mit überspitzten Bewegungen oder Mimik. Aber dann ist da der Vater und der ist mehr so ein Glas-Wesen, das ganz durchsichtig ist und in dem man immer so einen Wasserstand sieht.

Sophie Anggawi:
Wieso hast du dich dafür entschieden?

Ika Sperling:
Der Vater, der ist so eine. Ich nenne es immer „Blase“.

Sophie Anggawi:
Sprechblase?

Ika Sperling:
Ja, oder wie so eine Seifenblase. Als ob der immer aussieht wie diese Seifenblase aus SpongeBob. So ein bisschen. Die war zumindest farblich auch Inspiration. Aber die Figur vom Vater, die ist eigentlich so entstanden, dass ich so beim Storyboarden ganz lange nicht wusste, wie der Vater aussehen soll. Und ich wollte nicht, dass der Ähnlichkeit mit meinem Vater hat oder mit irgendeiner anderen real existierenden Person.

Ika Sperling:
Und deswegen hatte ich da so eine Platzhalterfigur erst mal gezeichnet, so einen Blobb und war so „Okay! Ja, wenn mir dann später was Gutes eingefallen ist, dann zeichne ich dann halt da diese Figur“. Und dann hat mir dieser Blobb aber irgendwie auch voll gut gefallen und mir war von Anfang an klar, dass ich so dieses „Auslaufen Thema“ mit dabei haben will.
Weil für mich war es immer so, einen Angehörigen an Verschwörungsideologie zu verlieren ist, wie wenn man so Wasser in seine Hände macht. Und egal wie fest man die zusammendrückt, das Wasser läuft irgendwie trotzdem durch und man weiß aber nicht warum. Und so diesen diffusen Verlust von ich weiß nicht wieso, aber ich kann es auch irgendwie nicht aufhalten. Das fand ich eigentlich immer sehr passend daran, einen Angehörigen einer Verschwörungsideologie zu verlieren. Und da war ich so okay, dann benutze ich das doch dann als Metapher direkt für die Figur.

Sophie Anggawi:
Ja, und man ist ja auch so hilflos. Also das finde ich, kommt auch wahnsinnig gut rüber in „Der große Reset“, dass alle Angehörigen, also die Schwester, die Mutter und dass sie alle irgendwie ganz hilflos sind dieser Situation gegenüber. Wie verhält man sich, wie wollen sie sich dem Vater gegenüber bewegen und alle finden so ein bisschen ihre eigene Art, damit umzugehen?

Ika Sperling:
Die Mutter zum Beispiel, die hat so ein bisschen die Haltung, dass sie sagt „So, ich versuche das irgendwie zu ignorieren, ich will das einfach alles so ist wie früher und dass alles so bleibt, wie es ist“ und geht dem auch einfach so ein bisschen aus dem Weg der Konfrontation. Die Schwester: Also die Schwester, der ihre Backstory ist so ein bisschen, dass die vorher in der Gastronomie gearbeitet hat und dann, während Corona ihren Job verloren hat und wieder bei ihren Eltern einziehen musste.
Und die ist halt gar kein Bock mehr da drauf. Also man merkt, dass die super genervt ist, dass die auch schon viel diskutiert hat und die geht diesen Diskussionen aus dem Weg. Aber halt eher, weil sie sagt „Da ist sowieso jede Hoffnung verloren“. Und die Protagonistin, also ich, die ist eher so ein bisschen, dass sie sagt so, „ah ja, ich will eigentlich, dass alles auch so wie früher ist“, aber scheut sich auch ganz lange vor so einer Konfrontation und eiert halt das ganze Buch über eigentlich so ein bisschen rum und versucht aber auch immer so, diese Harmonie beizubehalten.
Bis zum Schluss.

Sophie Anggawi:
Cliffhanger! Also das finde ich total guten Punkt, die gehen alle unterschiedlich damit um. Ich möchte noch einmal auf dieses Thema Wasser zurückkommen, weil das ist ja auch ein sehr interessantes Stilmittel, das du nutzt. Das ist ja nicht nur beim Vater, bei dieser Vater-Blobb-Figur, Sprechblasen-Figur so, sondern du hast glaube ich auch mit Wasserfarben gemalt, oder? Das heißt, dieses Thema Wasser, das kommt auch immer wieder, auch thematisch.
Da sitzen sie im Auto und es regnet oder die Weinflaschen kippen um und gehen kaputt. Was hat dieses Wasser Thema in dir ausgelöst, dass du das ausgewählt hast?

Ika Sperling:
Ich glaube, weil ich auch während so einem Storyboard gemerkt habe, so dieses Thema von Auslaufen bietet sich das ganze Buch über hinweg an, also zum Beispiel der Hund, den die Familie hat, der ist auch inkontinent und pinkelt halt ins Haus. Das fand ich irgendwie auch dann so passend, dass ich da so ganz viel irgendwie zusammengegeben hat und vielleicht auch so eine rein technische Sache.
Ich habe davor relativ lange so Feuchtpräparate gezeichnet, also so Krempel der halt in Gläsern eingelegt ist.

Sophie Anggawi:
Diese wie so ein Gehirn, eine Echse oder so ?

Ika Sperling:
Ja, genau. Und deswegen habe ich da auch irgendwie schon so sehr viel Flüssigkeit und so Wasser, Reflektion und Spiegelung gezeichnet. Und deswegen war es auch etwas, das mich einfach so zeichnerisch und künstlerisch interessiert hat.

Sophie Anggawi:
Aber wieso hast du diese Feuchtpräparate überhaupt gezeichnet?

Ika Sperling:
Oh, das ist ein bisschen ein Spezialinteresse von mir. Ich bin sehr begeisterter, fern von anatomischen Sammlungen in Deutschland und Fan im Sinne von, dass ich finde, dass die viele interessante Fragen mit sich bringen und auch eine Frage von: Ist es überhaupt noch gerechtfertigt, dass man das heutzutage hat? Weil halt auch der Ursprung von vielen Präparaten unklar ist bis teilweise halt problematisch und die aus der Kolonialzeit zurückkommen.
Und diese Sammlungen sind halt auch meistens der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ich finde das so interessant, weil das zum einen ganz, ganz wertvoll ist. Also die Sachen haben auch einfach einen krassen Wert, weil diese Feuchtpräparate heute nicht mehr so angefertigt werden. Aber halt zum anderen sieht die niemand und die werden halt so ein bisschen in der Uni aufbewahrt, auch nicht mehr so wirklich zu Lehrzwecken benutzt und sind halt da.
Aber niemand weiß so ganz, was man damit machen soll, weil man zeigt, sie auch nicht der Öffentlichkeit.

Sophie Anggawi:
Und das war also quasi deine Stilmittel-Studie, die dann dazu geführt hat, dass das Thema Wasser auch in deiner Graphic Novel so untergekommen ist. Hat es dir auch inhaltlich dieses Geheime oder dieses, was man nicht so richtig versteht, geholfen?

Ika Sperling:
Wenn man es so formulieren will? Ja, ich glaube, bevor ich der große Reset gemacht hat, hatte ich so zwei Jahre davor so eine Phase, wo ich einfach durchweg gestrudelt habe, wo ich immer wieder ein neues Thema angefangen habe und dann fand ich alles doof und habe es wieder verworfen. Und dann habe ich wieder Neues angefangen. Da ging es dann auch zeitweise wollte ich dann ein Buch machen über so dieses nach dem Abi reisen, aber halt eher so ein negativer kritischer Reisebericht darüber.Ja, habe ich auch wieder komplett verworfen. Dann war es kurz so eine fiktionale Geschichte über auch so eine anatomische Sammlung. Dann war es irgendwann mal eine Geschichte über den letzten Mondfisch vom Ozeaneum in Stralsund.

Sophie Anggawi:
Und wieder das Wasser.

Ika Sperling:
Ja, das alles kam dann immer wieder so neue Themen. Ich war dann ganz, ganz unzufrieden, habe alles wieder verworfen und dann hatte ich irgendwann mal ein Gespräch mit meiner Atelierkollegin Line Hoven. Und die hatte halt viele von meinen Problemen mit meiner Familie meinen Vater mitbekommen, da meinte sie: „Mach doch ein Buch über deinen Vater“ und ich war so „ne so depri Thema. Will doch niemand lesen. Sind 200 Seiten, wo alle nur rumstehen und ganz traurig sind und alles ist ganz, ganz schlimm“ und sie war aber so „Ja, aber probier es doch mal wenigstens“. Und dann habe ich gesagt ich nehm mir jetzt einen Monat Zeit und mach nur Storyboards und habe dann gemerkt, okay, es funktioniert voll gut. Und es ist gar nicht nur traurig und schlimm. Und es macht mir auch einfach Spaß, diese Geschichte zu erzählen.

Sophie Anggawi:
Ja, das ist ein guter Stichpunkt, weil es ist wirklich nicht nur traurig und schlimm. Ich meine Angehörige zu verlieren an eine Verschwörungsideologie ist natürlich wahnsinnig tragisch. Und das kommt auch rüber in der Graphic Novel, aber es gibt ja auch ganz zarte Momente zwischen denen, also was natürlich das dann auch wieder anders tragisch macht. Ist diese Ambivalenz für dich schwierig gewesen darzustellen?

Ika Sperling:
Nee, eigentlich gar nicht. Beziehungsweise ich finde, es brauch diese Momente, dass es halt eben nicht nur schlimm ist. So am meisten Spaß haben mir auch die Szenen mit der Schwester gemacht, weil ich meine richtige Schwester auch sehr, sehr gerne mag. Und halt dann gerade so am Anfang gibt es so eine Szene, wie diese zusammen im Bett liegen und irgendwie daddeln und die eine guckt irgendwie hier Peter Zwegert Schuldenkram auf dem Handy und die andere spielt Pokémon auf der Switch und so diese Momente, dass diese beiden erwachsenen Schwestern dann eigentlich trotzdem da wieder rumhängen und daddeln, wie so Jugendliche, die braucht es einfach so ein bisschen als so kleine Verschnaufpausen in dem Buch und dann halt auch zu sehen, dass diese Familie ja auch irgendwie noch funktionieren kann, wenn sich irgendwie alle ein bisschen zusammenreißen.
Und dass es dann aber auch schön ist für so ein paar Stunden. Und dann ist aber natürlich auch die Fallhöhe wieder größer, wenn man dann sieht, dass es dann doch bröckelt.

Sophie Anggawi:
Ja, ja, weil der Vater auch er ist ja nicht einfach nur ein schlechter Mensch. Er sitzt dann auch mit seiner Familie am Frühstückstisch und bastelt und schnitzt so einen kleinen Hund aus einem Apfel. Schnitzt und ist ja auch gar nicht nur ein Blödmann.

Ika Sperling:
Also so und das merkt man auch am Ende vom Buch, in seiner Welt denkt er irgendwie, dass er was Gutes macht. Aber gleichzeitig fehlt ihm die Fähigkeit zu sehen, dass das was oder wo er denkt, dass das gut für andere ist, dass es halt einen riesigen Schaden bei allen anderen anrichtet.

Sophie Anggawi:
Ist das auch so dein Gefühl, wie das funktioniert, wenn Menschen einer Verschwörungsideologie verfallen?

Ika Sperling:
Ich glaube, da kann ich nicht universell sprechen. Ich glaube, es ist tatsächlich so diese Leute, die die waren ja nicht morgens auf und sind so „oh, ich habe richtig Bock, meine Angehörigen jetzt zu traumatisieren und dass es den richtig schlecht geht“, sondern da ist auch schon, glaube ich, vieles dabei, dass diese Leute wirklich ernsthaft Angst haben und denken, es passiert was ganz, ganz Schlimmes und ich muss jetzt irgendwie mich und meine Angehörigen beschützen.
Aber ja, wo das herkommt, ist halt im Endeffekt eine antisemitische Verschwörungsideologie und dass da nie dieser Schritt gemacht wird, zu sagen okay, ich geh mal ein bisschen raus und guck mir das genauer an, guck mal, vielleicht auch meine Angst, die ich habe, genauer an.

Sophie Anggawi:
Ich stelle es mir wahnsinnig schwierig vor, das nicht zu reproduzieren. Auch also diese verschwörungsideologischen Theorien oder Narrative, die nicht einfach zu wiederholen und gleichzeitig aber auch nicht zu stark hinab zu blicken auf Verschwörungstheoretiker innen. Wie hast du das für dich geschafft?

Ika Sperling:
Ein Mittel durch benutzt habe ist das das meiste von diesem ich sag mal in Anführungszeichen Verschwörungs-Bla immer im Hintergrund ist also so der Text, der verschwimmt dann teilweise mit dem Hintergrund. Man kann den nicht so genau lesen, der spielt hinter den Figuren, dass man halt nur so Buzzwords lesen kann. Wie so Gender-Gaga und Merkel-Diktatur. Und dann wissen alle schon worum es geht.
Und weil ich mir doch dachte okay, ich will dem nicht so eine Bühne geben. Für mich war da eine Graphic Novel von Nick Jones zu Sabrina super inspirierend, weil es da auch im Endeffekt um Verschwörungsideologien geht. Und Nick Jones hat das so gemacht. Es gibt da immer wieder so Szenen mit einem Radio und so einer Podcast Show, was halt ganz klar Infowars von Alex Jones sein soll.
Und diese Szenen sind aber teilweise so lange, dass sie so richtig schmerzhaft werden zu lesen. Und dass du dir denkst „oh nein, ich kann's mir nicht mehr anhören“ und ich glaube das dieser Effekt ist ja so ganz bewusst und mit Absicht gemacht, dass es so unangenehm wird zu hören. Und das habe ich mir auch da so ein bisschen vorgenommen, dass ich dachte okay, ich will die nicht, ich will den keine Bühne geben und die Leute, die wissen, worum es geht, die verstehen das anhand dieser Buzzwords.
Und es gibt so nur eine Stelle im Buch, wo man so einen Verschwörungsdialog eher so ununterbrochen lesen kann. In der Mitte, auf dem Weinfest. Und da bin ich eigentlich auch relativ zufrieden mit dem Dialog, weil der auch so eine Mischung aus tragisch und komisch ist, aber auch diese ganzen Buzzwords enthält, wo Leute wissen, worum es geht, wenn sie die lesen.
Und das ist ja auch der erste Moment, wo man den Vater nicht nur sieht, wie er mit der Familie interagiert, sondern auch eben mit Menschen außerhalb der Familie, nämlich mit Menschen aus dem Dorf und wo es dann auch noch mal für alle so ganz extra unangenehm wird, weil es der Familie ja auch sehr unangenehm ist, dass der Vater eben ein Verschwörungstheoretiker geworden ist.
Aber halt diese Leute im Dorf ihn da ja teilweise auch noch so befeuern. Also halt und dann auch wirklich sagen „Oh, du bist so krass, du bist so mutig, so cool, was du machst“.

Sophie Anggawi:
Ist das Verlegenheit?

Ika Sperling:
Von dem Vater oder von den?

Sophie Anggawi:
Von den Leuten? Also das ist so ein Verlegenheits-Befeuern von den Menschen aus dem Dorf?

Ika Sperling:
Also ich habe es eher auch so im Umkreis von meinem Vater immer so wahrgenommen, dass diese Leute das das wirklich denken so „oh, das ist richtig cool“.

Sophie Anggawi:
So wirklich?

Ika Sperling:
Ja.

Sophie Anggawi:
Aber selber nicht Verschwörungsideologen sind?

Ika Sperling:
Hmmm, ich glaube die Übergänge sind da fließend. Also ich glaube, dass sie auch verschwörungsgläubig sind, aber vielleicht nicht im gleichen Maße wie der Vater.

Sophie Anggawi:
Okay, aber und wo beginnt das dann? Diese dieser Glaube an Verschwörungsideologien und ab wann ist es wirklich so was Aktives?

Ika Sperling:
Das ist natürlich eine schwierige Frage. Man kann ja auch argumentieren, es gibt ja auch diese Esoterik zu Verschwörungsglauben-Pipeline. Ich glaube, für mich würde ich da immer so ein bisschen so einen Punkt ziehen, wenn die Leute sagen in der Diskussion, das alles was du sagst, ist sowieso nur von den Fake News und den kontrollierten Medien und vom Staat bezahlt und beeinflusst.
An diesem Punkt war es für mich immer so ein bisschen so okay, dann können wir jetzt aufhören zu reden, denn alles was ich sag, wird dich nicht überzeugen und alles was du sagst, wird mich nicht überzeugen. Und ich kann mich hier hinstellen und dir eine acht Stunden Powerpoint-Präsentation halten, mit Experten, die ich eingeladen hab. Und du wirst trotzdem dasitzen und sagen „Ja, das ist alles gelogen, die sind alle bezahlt“.
Ja, und das ist dann auch der Punkt, wo ich für mich bei meinem Vater gesagt hat okay, ich glaube, ab hier können wir nicht mehr darüber fachlich oder sachlich oder faktisch diskutieren.

Sophie Anggawi:
Deine Graphic Novel ist letztes Jahr rausgekommen, 2024. Das war so ein bisschen das erste Jahr ohne Corona, also immer noch. Natürlich gibt es den Coronavirus immer noch und natürlich beeinflusst er viele Menschenleben immer noch. Aber das war das erste Jahr so komplett ohne Maßnahmen. Wieso hast du dir diesen Moment ausgesucht? Weil in der Graphic Novel selber ist ja noch Corona, glaube ich.
Also weil beim Tierarzt zum Beispiel tragen auch immer noch alle die Maske. Außerdem abgesehen vom Vater war das ein Moment, so eine, so eine Rekapitulation auch der Corona Pandemie und wie Menschen da reingerutscht sind.

Ika Sperling:
Das war tatsächlich nur Zufall, weil als ich das Buch 2021 bei Reprodukt vorgestellt hatte, war es so ein bisschen so „Oh, wie lange glaubst du, brauchst du für das Buch?“ und „Glaubst du, das interessiert die Leute überhaupt noch? In zwei Jahren?“ Und ich war so: „Ich glaube leider schon“, weil es ja auch um viel mehr als nur um die Corona Zeit geht, sondern es geht halt im Endeffekt darum, was auch mit diesen verschwörungsgläubigen Leuten passiert ist, weil die sind immer noch da und die Beziehungen sind immer noch kaputt und entweder haben die Leute den Kontakt abgebrochen oder man hat sich darauf geeinigt „Okay, wir reden nicht mehr über Politik“. Aber die Leute, die damals angefangen haben, an Verschwörungsideologien zu glauben, die glauben jetzt immer noch an Verschwörungsideologien.
Die haben vielleicht nichts mehr mit Corona zu tun, aber jetzt sind es Erzählungen über den Ukrainekrieg oder über einen drohenden Blackout. Ich weiß tatsächlich nicht mehr, was aktuell ist, gerade im Verschwörungsgame, weil sich ja diese Narrative auch gefühlt alle zwei Wochen ändern. Also egal was passiert, es passt dann doch irgendwie wieder in diese Erzählung rein. Und deswegen meinte ich so „Nein, ich glaube, es ist ein universelles Thema, das auch Leute noch weit über die Corona Pandemie raus interessieren wird“.
Und dann war das tatsächlich echt einfach nur ich kann es mal so sagen Anführungszeichen, „Glücklicher Zufall“, dass das gleichzeitig in so eine Zeit gefallen ist, wo es auch das erste Mal darüber geredet wurde von Hey, lass mal vielleicht die Corona Pandemie aufarbeiten.

Sophie Anggawi:
Hast du auch bisher Rückmeldungen bekommen? Also sowohl von deiner Familie als auch von Leserinnen und Lesern, die gesagt haben, „ich konnte total relaten“?

Ika Sperling:
Von Lesenden sehr viel. Ich habe auch einen kleinen Emailordner, der heißt „Lob“ wo ich mir alle netten Emails, die ich bekomme speichere und auch teilweise haben mir Leute auf Instagram geschrieben. Ich hatte auch so ein, zwei Anfragen aus dem Ausland bekommen von Leuten die gefragt haben „Hey, kann man das Buch auch irgendwo auf Englisch kaufen? Das ist das einzige Buch zu dem Thema, das ich gefunden habe“. Und von meiner Familie war es so, dass natürlich meine Ängste Familie, die wussten, dass ich dieses Buch mache. Viele Leute interessiert auch immer brennend, was mein Vater davon hält. Da kann ich gleich schon mal alle enttäuschen. Mein Vater ist gestorben, bevor ich dieses Buch gemacht habe.
Das heißt, er wusste das nie und so meine engste Familie, die wussten alle Bescheid und die wussten aber auch, dass ich die Figuren ändere. Also es hatte ich denen gesagt „ihr kommt da nicht so drin vor, wie ihr jetzt seid“ und von daher ist das für alle auch okay.

Sophie Anggawi:
Hm, also bzw war es auch eine Art der Aufarbeitung, auch für deine Familie, weil für dich war es das ja wahrscheinlich schon, oder?

Ika Sperling:
Für mich Ja, wobei ich so ein bisschen vorsichtig bin damit zu sagen „Oh, es war irgendwie ganz therapeutisch, dieses Buch zu machen“, weil ich glaube das für mich war es wichtig, dass ich das zuerst verarbeite und dann das Buch mache. Also ich glaube, ich hätte damit nicht anfangen können. So Anfang 2021, wo es mir noch richtig schlecht ging und ich dann noch irgendwie genau drinne war.
Da wäre das glaube ich nicht funktioniert.

Sophie Anggawi:
Warum?

Ika Sperling:
Weil es glaube ich einfach noch zu nah ist. Und ich habe auch so ein bisschen für mich beim Arbeiten erkannt, dass wenn ich zu sehr an ein Thema dran bin, dann wird es nicht „ich erzähle eine Geschichte“, sondern dann wird es auf einmal ein „Ich muss in diesem Buch eine Lösung für mein Problem finden“. Und der Arbeitstitel von dem Buch war auch eine ganze Zeit lang „die Lösung“, weil ich halt auch, glaube ich, immer so ein bisschen dachte, „vielleicht finde ich dann eine Antwort drauf“ und vielleicht auch Spoiler: Ich kann in dem Buch keine Antworten geben. Also ich. Das ist jetzt kein Ratgeber, wie man mit Verschwörungsgläubigen reden soll oder mit den umgehen soll, sondern es ist halt eher ein persönlicher Erfahrungsbericht, der Leuten im besten Fall ein bisschen Trost spenden kann.

Sophie Anggawi:
Also es ist ein Erfahrungsbericht, keine Lösung. Aber war es trotzdem für dich eine Art von Lösung oder einen Umgang mit dem Thema zu finden?

Ika Sperling:
Das auf jeden Fall ja. Ich habe auch eine Zeit lang in Hamburg eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Verschwörungsgläubigen geleitet. Und da war es auch so oft wie in so Selbsthilfegruppen, dass man halt rumhängt. Und ja, alles ist ganz, ganz schlimm und dann sind alle ein bisschen traurig und gehen wieder. Und da haben wir dann irgendwann gesagt okay, wir müssen jetzt auch noch mal so gegen Ende so 15 Minuten Zeit nehmen zu sagen okay, was haben wir denn gemacht, was uns jetzt irgendwie geholfen hat im letzten Monat
Also wir hatten uns dann monatlich getroffen und da haben viel auch darüber gesprochen, dass es für sie immer gut war, sich politisch zu engagieren, weil diese ganze Energie, die man in Diskussionen mit diesen Angehörigen steckt, die ist verloren. Irgendwann. Also kommt halt nichts zurück. Und dann haben viele gesagt so, hey, ich investiere meine Zeit und meine Energie lieber in eine Arbeit, die auch was bringen.
Sei es politische Arbeit in der Partei, in einer Organisation und ich glaube, für mich war das dieses Buch, dass ich dann gesagt habe, okay, dann investiere ich jetzt meine Energie in dieses Buch rein und dieses Buch zu machen und mich damit zu beschäftigen und damit vielleicht halt am Ende ein paar Leuten ein bisschen Trost zu spenden.

Sophie Anggawi:
Haben die die Gespräche innerhalb dieser Gruppe auch geholfen? Also auch für die Graphic Novel?

Ika Sperling:
Ich habe immer gesagt „alles, was ihr mir hier erzählt, das kommt nicht in das Buch“. Also ich bin damit auch so sehr transparent umgegangen und habe gesagt, ich arbeite an einem Buch dazu, aber keine Sorge, es wird da nicht drinne verwurstet. Es ist interessant, weil halt viele Leute sehr ähnliche Erfahrungen machen. Also vor allem da war ich sehr überrascht, dass sehr viele Leute auch so ein Gefühl haben von politischer Verantwortung für ihre Angehörigen im Sinne von „ich bin dafür zuständig, dass sich dieser Mensch nicht weiter radikalisiert. Und wenn mir das nicht gelingt“. Dann habe ich irgendwie nicht nur diesen persönlichen Verlust von einem Angehörigen, sondern ich habe auch gesellschaftlich so ein bisschen versagt. Und das hatten auch sehr viele Leute. Und ich glaube auch zu sehen, dass dann so komplexe Gefühle, dass das auch andere Leute haben. Das war auch sehr tröstend für mich.

Sophie Anggawi:
Diese gesellschaftliche Verantwortung finde ich wahnsinnig spannend, weil der Literaturhaus-Podcast ist auch immer so ein bisschen geknüpft an das Literaturhaus Magazin und das Monats-Thema diesen Monat ist „Gewalt“ und unter diesem Thema haben wir dich quasi ja auch eingeladen. Kannst du noch was anfangen mit dem Begriff Gewalt, also auch im Zusammenhang mit dieser gesellschaftlichen Verantwortung?

Ika Sperling:
Hm, das erinnert mich daran, dass mich einmal auch in einem Interview gefragt wurde, ob ich denke, dass von diesen Leuten eine Gefahr ausgeht oder eine Gefahr ausgehen könnte. Und ich war so: „ja auf jeden Fall und das tut es ja auch jetzt schon“, also allein irgendwie auf den Punkt Klimakatastrophe gesehen, das wird uns ja alle in Gefahr bringen. Und dann halt Leute, die sagen „ach nö, das gibt es nicht und da müssen wir uns nicht drum kümmern“, das ist eine große Gefahr für ja, keine Ahnung, alle auf der Welt und natürlich, was da auch noch eine Gefahr ist.
Und da sind ja schon People of Color und queere Menschen sind ja schon in Gefahr, auch in Deutschland im Moment. Und deswegen denke ich auf jeden Fall, dass eine Gefahr davon ausgeht. Aber halt auch gleichzeitig finde ich diese Frage nach Verantwortung so schwierig, weil ich mir halt denke: Ist es meine Verantwortung als Angehörige und was passiert, wenn mir das einfach nicht gelingt?
Und vielleicht ist das auch ein ganz guter Punkt, wenn mich Leute fragen: Ja, was kannst du denn raten für Menschen, die Angehörige haben, die an Verschwörungsideologien glauben? Würde ich auf jeden Fall immer sagen: Sich Hilfe zu holen in der Beratungsstelle. Und was diese Leute machen können ist, dass die halt mit ein sich das genau anschauen können und gucken okay, was bringt denn noch was? Wie kann man denn diskutieren? Lohnt es sich hier auf einer Faktenebene zu diskutieren oder lohnt es sich hier eher auf einer emotionalen Ebene zu diskutieren? Aber das sind alles Sachen, die sind super individuell und hängen auch ganz viel von der Person ab, die zu dieser Beratungsstelle geht. Also ob das ein Partner ist, ob das eine Freundin ist von einer Person oder ob das ein Kind ist.
Ich glaube das auch noch mal sehr anders ist, wenn man Kind von einem Verschwörungsgläubigen ist, weil man vielleicht als Kind sowieso immer diesen kleinen Dulli-Status hat und zum Beispiel bei meinen Vater dachte ich mir auch oft in Bezug auch auf diese Weinszene, dass wenn seine Freunde da mal gesagt hätten „Hey, nee, das kannst du doch nicht so sagen“, dass das ein viel größeren Einfluss darauf gehabt hätte, als wenn ich ihn hundertmal am Tag sag „Nein, das ist rassistisch, sexistisch, das sagt man so nicht“. Und dass das dann eine viel größere Gewichtung hat, ja.

Sophie Anggawi:
Oder wenn man die Graphic Novel dann verschenkt an eine Person, die an Verschwörungserzählungen glaubt?

Ika Sperling:
Ja, oder das, also das schreiben mir auch viele Leute, dass sie das als Geschenk verschenkt haben, was mich dann auch immer freut. Also ich habe noch keine Mails bekommen von „Meine Mutter hat das gelesen und hat sich bei mir entschuldigt und jetzt reden wir wieder darüber“. Falls das jemandem passiert ist, meldet euch!

Sophie Anggawi:
Es ist ja im Grunde genommen auch nicht unbedingt eine Graphic Novel für Menschen, die auf Verschwörungserzählung reinfallen, sondern ja, wie du sagst, ein Erfahrungsbericht. Und das ist ja vielleicht eher was, was Menschen hilft durch so einen Prozess durchzuarbeiten.

Ika Sperling:
Ja, was ich auch interessant fand: Am Anfang habe ich immer noch so ein paar Kommentare unter Zeitungsartikeln gelesen. Damit habe ich mittlerweile aufgehört. Ich glaube, man wird irgendwann verrückt, wenn man das macht. Aber da waren auch oft Leute, die meinten, dass sie voll Mitleid mit dem Vater haben. Also ich finde, das ist dann aber auch so ein Kritikpunkt, wo ich mir denke, „ja, ab hier können wir wieder zusammenkommen und reden“.
Also ich finde das wirklich interessant, wenn Leute sagen „Oh, ich hab voll Mitleid mit dem Vater im Buch, weil die ja dann auch so ein bisschen diese Haltung vertreten von aber er will doch eigentlich nur was Gutes tun“. Und ich glaube, dass das auch so ein bisschen so ein Einstiegspunkt sein kann zu sagen „okay, das ist ja dann aber auch eine Figur, mit der du dich identifizierst“. Und dann eben auch die Frage: „Aber kannst du vielleicht auch die die Rolle von den Familienmitgliedern einnehmen, warum das für dich schlimm ist?“
So wie ich ja auch verstehen kann, warum Leute sagen ich habe Mitleid mit dem Vater.

Sophie Anggawi:
Vielen lieben Dank für unser Gespräch für den Literaturauspodcast.

Ika Sperling:
Ja, Dankeschön.

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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.