Zum Nachlesen
Vanessa Guinan-Bank (VGB)
Heute mit Vanessa Guinan-Bank. Und wir wollen über Pleasure sprechen. Übersetzt kann das heißen Freude, Vergnügen, Genuss oder auch Lust. Was das genau für sie bedeutet, kann uns gleich Jovana Reisinger erzählen. Die hat nämlich ein Buch geschrieben mit dem Titel Pleasure. Jovana ist Schriftstellerin, Filmemacherin, Schauspielerin und bildende Künstlerin. Und sie schreibt auch eine Kolumne über Menstruation für die Vogue und eine übers Single-Sein für die FAZ.
Hallo, Jovana. Ich freue mich sehr, dass du hier bist.
Jovana Reisinger (JR)
Hi, ich freue mich auch.
VGB
Also die große Frage zuerst: Was verstehst du unter Pleasure?
JR
Ja, Pleasure kann so ganz viele unterschiedliche Dinge sein. Also zum einen ist es natürlich eine Genussbefriedigung oder auch eine Bedürfnisbefriedigung. Es kann aber auch dekadenter Luxus sein, so die übertriebenste Verschwendung. Es kann aber auch was ganz Kleines sein, irgendwas, was so sofort so irgendwas stillt. Es kann ein Begehren sein, es kann natürlich auch Sex sein, es kann irgendwie aber auch sich auf Essen oder Fashion beschränken. Es kann so alles Mögliche sein.
Wichtig ist vielleicht herauszufinden, was einem selbst pleasure bereitet und warum man das vielleicht sich nicht gönnt oder nicht gönnen kann und ob das Ganze strukturell bedingt ist und dann kommt man auch schon direkt in die großen Themen des Buches.
VGB
Absolut. Und zwar schreibst du, dass es eine Haltung, die von unten kommt ist. Inwiefern denn?
JR
Naja, genauer gesagt habe ich geschrieben, dass wenn die Haltung von unten kommt, dann finde ich sie sehr politisch und dann kann ich auch tatsächlich etwas bewegen, weil sie nämlich Dinge in Frage stellt. Also nicht nur herrschende Klassenkonstrukte oder irgendwelche anderen strukturellen Rollenbeschreibungen zum Beispiel, sondern es stellt so ganz viele auch gesellschaftliche Konsens, Riten und Ideale so in Frage. Denn als prekär lebende Person oder arme Person wird einem anders Pleasure zugestanden, als es einer sehr vermögenden und sehr reichen und sehr, weiß ich auch nicht, vielleicht auch elitär lebenden Person. Also ich benutze dann gerne ein Bild und zwar, wenn wir uns jetzt vorstellen, wir haben hier irgendwie einen schönen Pool in einem gepflegten Garten und diese Poolanlage sieht auch total super aus, keine Ahnung ob da jetzt Marmor liegt oder irgendwas Vergleichbares, ich weis es gar nicht, ob man Marmor draußen so gut hinlegen kann. I don't know. Aber auf jeden Fall sind da wirklich auch gute Liegestühle und da stehen so Palmen rum und die Leute, die da rumliegen, sehen auch irgendwie alle hot aus und dann haben die den ganzen Tag nichts zu tun und dann trinken die vielleicht auch so ein Dirty Martini oder so. Und man denkt sich sofort so, geil, die haben es geschafft, die haben sich das verdient. Amazing, I wanna be them.
Und wenn wir uns jetzt aber das ganze Gedankenkonstrukt jetzt mal kurz woanders hin verlagern, wie zum Beispiel, wir haben auch ein Pool-Setting, dann haben wir drumherum vielleicht so eine merkwürdige Art von Gartenzaun, weil dieser Pool irgendwie abgesperrt ist. Wir haben so mittelmäßig schäbige Liegen und wir haben dahinter zum Beispiel eine mittelmäßig schäbige Hotelanlage oder so eine Art von Motel zum Beispiel. Das ist sofort so ein filmisches Bild, das kennt man sofort. Und die Leute, die da rumliegen, haben jetzt nicht so knackig definierte Körper und auch nicht so geile Accessoires an. Dann ist das Bild irgendwie sofort anders und man denkt sich so, aha, sollten die nicht lieber was anderes tun mit ihrer Zeit und warum hat die eine überhaupt so einen Cocktail in der Hand? Das ist ja wohl schmarotzig.
Und da fängt es nämlich schon an, weil man spricht manchen Leuten den Genuss irgendwie so ein bisschen mehr ab als den anderen, was natürlich an der Leistungsgesellschaft und an diesen Ideen liegt.
VGB
Und das Revolutionäre an Pleasure ist dann, dass, wenn es von unten kommt, dieser Genuss, man sich den auch erlaubt?
JR
Ja, dass man sich den nicht nur erlaubt, sondern dass man auch in Räume eindringt, also sowohl wortwörtlich als auch metaphorisch natürlich, in denen man eigentlich nicht vorgesehen ist. Jetzt gab es natürlich so ein, weiß ich nicht, ich finde das Wort Trend immer so schwierig, aber es gab jetzt auf jeden Fall einen größeren, weiß ich auch nicht, eine größere Aufmerksamkeit zum Beispiel auf Literatur, die sich mit den Klassenfragen beschäftigt hat, mit Klassismus, viel Literatur oder wesentlich mehr als noch bis vor kurzem, die von Arbeiter*innenkinder geschrieben worden sind. Also die eben nicht eine klassische Aufstiegsgeschichte erzählen, also nicht dieses vom Tellerwäscher zum Millionär, hier ist die Gebrauchsanleitung, so schaffst auch du es in der neoliberalen Leistungswelt
Sondern die dann eher so etwas anderes beschreiben, wie zum Beispiel, ich habe Klassenwechsel gemacht und es verunsichert mich immer noch zutiefst und ich weiß nach wie vor nicht, wie ich mich eigentlich bei so einem guten Dinner in Anführungszeichen benehmen soll. Und das fängt bei der Besteckabfolge an oder auch dieser Idee, dass man das Aperitivglas nicht mit an den Tisch stellen darf oder wo man eigentlich die Servette zu welchem Zeitpunkt hinlegt. Dass es nicht nur um diese Sachen geht, sondern auch, wie werde ich zum Beispiel in der Kunstwelt wahrgenommen oder wie sind die Aufträge, die ich bekomme oder wie ist die Bezahlung, die ich bekomme und wie ist meine Aufmerksamkeit, die mir so zugetragen wird in anderen Dingen. Also ich spreche aus einer kulturellen Blase heraus.
Und dieses Eindringen in diese Räume sorgt nicht nur für Verunsicherung bei einem selbst, sondern auch bei den anderen. Also es wird sowas in Frage gestellt, so eine in Anführungszeichen natürliche Ordnung. Momentchen. So eine „natürliche Ordnung“ wird in Frage gestellt, die natürlich für Ausgrenzung sorgte und dafür sorgte, dass halt Reiche bleiben oben, bleiben in den elitären Räumen und wissen natürlich dann dementsprechend auch, was sich gehört und was gute Unterhaltung ist und was gute Kunst ist, also diese ganze Idee von Kanon und so weiter, was alles so von oben diktiert wird.
Und jetzt dringen aber immer mehr Leute von unten oder wir versuchen es zumindest so einzudringen und es ändert was. Das hat man in der Mode gesehen, zum Beispiel als Vetements oder Virgil Abloh, als die plötzlich so die Zeichen der Straße auf den Laufsteg geschickt haben. Nur von, keine Ahnung, T-Shirts mit DHL-Druck drauf oder mit irgendwelchen Städtesslogans wie „Ich komme zum Glück aus Osnabrück“ oder eben Trainingsanzügen. Die ja dann wiederum kopiert wurden, also auch von Gucci und Versace und so weiter, aber die auch dann wiederum kopiert wurden und dann deren Fakes wieder auf der Straße verkauft wurden. Und das fand ich so einen tollen Moment, weil für einen kurzen Moment haben wirklich alle die gleichen Sachen angehabt und man wusste wirklich nicht mehr, wer hat jetzt die Kohle und wer hat sie nicht. Das fand ich schön.
VGB
Da sind wir ja eigentlich auch schon bei einer deiner drei Alltagskategorien, in die du das Buch teilst und zwar der Kleidung. Da geht es ja auch ganz viel darum, dass es eine Frage der Zugehörigkeit ist. Also, dass wir das mit Kleidung signalisieren. Kannst du da noch ein bisschen mehr zu sagen?
JR
Also, ich kann ja erstmal sagen, dass dieses Buch in drei Teile eingeteilt ist. Ich habe irgendwann festgestellt, als ich über Klassismus nachgedacht habe und über Klassencodes, dass es sich wirklich in gute, griffige Kategorien einteilen lässt, in Kleidung, in Essen und Schlafen. Und bei Kleidung ist es besonders interessant, weil wir ja natürlich, also Kleidung, ich verstehe Kleidung und Mode und Fashion und alles, was dazu gehört, durchaus auch als Sprache, als Kommunikationsmittel. Man kann was nach außen signalisieren, wenn man möchte. Man kann es auch lassen. Man wird nur trotzdem halt gelesen. Es muss einem schon klar sein. Also man kann jetzt auch sagen, mir ist Fashion total egal und ich scheiße auf alles, was mit Klamotten zu tun hat und so weiter und mit Aussehen und mit Oberfläche. Man wird halt trotzdem danach gelesen werden, also der Eindruck und so weiter.
Und was bei Kleidung super ist, ist, dass man Codes verschleiern kann. Es funktioniert natürlich in alle Richtungen. Es gibt Updressing, es gibt Downdressing, es gibt Verkleiden, also auch das Kostüm. Und da gibt es natürlich sehr viel Theorie dazu und sehr viele, aber ganz spielerische Ansätze auch. Also diese Idee, ich versuche durch Kleidung reicher auszusehen, als ich bin, funktioniert genauso gut wie, ah, ich versuche ärmer auszusehen oder prekärer auszusehen oder so ein bisschen, so auch ein bisschen cooler oder so. Und das ist ja so ganz interessant, dass man die Zuschreibungen, die man so „der Straße“ gibt, das ist ja immer so eine bestimmte Form von Credibility, von Coolness, von auch Glaubwürdigkeit, Authentizität und so weiter.
Und das hat man irgendwie im Pendant der Reichen und der Eliten dann irgendwie nicht. Da sind es dann natürlich andere Zuschreibungen. Und in meinem Fall war das so, dass ich, als ich angefangen habe zu studieren mit meinem ersten Studium, irgendwann mein Geld, das ich so Bafög-mäßig bekommen habe, statt in Essen, in Vintage Escada- und Jil Sander-Anzüge gesteckt habe, um nicht ganz so nach armer Landpomeranze auszusehen.
Und es hat funktioniert für eine Weile und jetzt ist es eher die andere Richtung wieder. Wobei, heute sehe ich auch ganz ordentlich aus. Das muss man schon mal sagen jetzt. Es funktioniert aber natürlich auch in die andere Richtung. Es ist ja auch so toll, wenn man an Kunsthochschulen oder so studiert, dann sehen ja auch immer alle so aus, als hätten sie keine Kohle für Reinigung und was weiß ich, Reparaturen und so weiter. Und dann stellt sich heraus, dass die alle in Eigentumswohnungen sitzen und man fühlt sich sofort verraten.
Ich fühle mich immer dann verraten, auf jeden Fall.
VGB
Aber ich finde es sehr interessant, dass du so während des Studiums sozusagen mit der Kleidung diesen Klassenwechsel auf eine Art signalisiert hast. Aber also bei mir im Studium gab es nicht besonders viele Leute, die jetzt so Escada und Jill Sander und sowas getragen haben. War das, also hast du dich da an deine Mitstudierenden angepasst oder war es eher so ein sich rausheben?
JR
Nee, das war schon auch so ein rausheben und es war auch so ein Versuch herauszufinden, was überhaupt mein Stil ist jetzt. Also ich meine, ich kam ja von super prekären Verhältnissen. Und hab mit 18 angefangen zu studieren und da ist man ja sowieso gerade noch in so einer Findungsphase. Ich habe auch noch so einige Stile durchgemacht, ehe ich dann wusste, was ich wirklich will. Aber es begann so ein bisschen mit dem Erscheinen des ersten Buches. Also als ich dann die ersten Lesungen gegeben habe und ich festgestellt habe, ich brauche auch so eine Art von Rüstung zum Beispiel, so eine Art von Bühnenoutfit. Ein Kostüm ist ja nichts anderes. Man zieht sich etwas über und im besten Fall fühlt man sich dadurch gestärkt oder selbstbewusster, oder was auch immer. So ein Kostüm hilft total gut, so eine andere Rolle vielleicht auch anzunehmen, sodass man überhaupt performen kann. Also Lesung ist ja auch Unterhaltung. Ich denke ja, wir in den Künsten sind Teil der Unterhaltungsindustrie, aber das haben irgendwie nicht alle so verstanden.
VGB
Das hören auch manche vielleicht nicht so gerne. Aber ich finde das Wort der Rüstung sehr schön als Beschreibung für Kleidung, weil es so, ja, ich weiß gar nicht, was es so auslöst. Es hat irgendwie was Schützendes, aber auch was Stärkendes, vielleicht.
JR
Ja, bei mir ist das ganz oft zum Beispiel dann die Bomberjacke oder so. Oder wenn ich besonders, ja, wenn es mir besonders schwerfällt, das Haus nochmal zu verlassen und dann muss ich mich wirklich besonders aufdonnern auch, das merke ich schon. Dann muss ich mich viel mehr schminken, dann brauche ich vielleicht die besonders hohen Schuhe und so. Also auch das kann so eine Rüstung sein, damit man wirklich so ist so, okay, ich bin jetzt nicht mehr die Person im Pyjama, die eigentlich jetzt wahnsinnig gerne schlafen würde oder wie auch immer jetzt ein Buch lesen würde oder so, sondern ich muss mich jetzt irgendwie in so eine Rolle begeben. Manchmal denke ich mir so einen Charakter aus und der ist ja auch wie eine Rüstung. So, keine Ahnung, Office Slut oder so und dann rein in die Bluse und raus aus dem Haus.
VGB
Das finde ich auch ein sehr schönes Bild. Und dazu kommt ja auch noch, dass vor allem Frauen oft zugeschrieben wird, also sowieso schon zugeschrieben wird, dass sie irgendwie unseriös und unliterarisch sind. Und dann ist da die Kleidung auch ein Weg, da rauszubrechen, das irgendwie zu signalisieren. Es könnte irgendwie alles sein, ne?
JR
Naja, es gibt ja nicht ohne Grund Stereotype und Tropen, ne? Oder auch bei Kleidung ist es ja nichts anderes wie auch bei allen anderen, wie bei Charakteren im Film und Fernsehen oder so. Und auch bei Kleidung funktioniert es sehr, sehr gut. Also zum Beispiel Intellekt wird, also ich wurde da neulich sehr gerügt bei einer anderen Live-Sendung. Da wurde mir gesagt, ich hätte ein Bild von Intellektualität von den 1960ern.
Und weil ich ja geschrieben habe im Buch, Intellekt wäre am liebsten, sollte man es ja natürlich körperlos begehen, am liebsten weiß man gar nicht, wer diese klugen Gedanken schreibt. Und wenn sie aber dann schon unbedingt sprechen müssen, dann noch bitte gerne im schwarzen Rollkragenpullover und der Hornbrille. Dann wurde mir gesagt, na, das ist aber ein sehr altertümliches Bild, das sei ja schon längst nicht mehr so. Dazu kann ich nur sagen, dass ich bei, vor kurzem erst in der AKademia zu Gast war und einen Vortrag gehalten habe. Und da haben wir dann auch danach so ein bisschen darüber gesprochen, wie das denn dann so ist, wenn man jetzt zum Beispiel über Professoralität oder so nachdenkt. Also könnte ich jetzt ohne weiteres Professorin werden für Gender Studies oder so? Dann ist schon mal ganz klar, okay, mit diesen Fake Nails und mit diesen kleinen Slutty Dresses und diesen hohen Schuhen und meinen glitzernden Handtaschen eher schwierig.
Und es ist total interessant, dass dann Leute denken, man wäre da schon weiter, in Anführungszeichen, man ist es aber faktisch gesehen nicht. Und das trifft natürlich in meinem Fall besonders clever rein, weil ich habe mich selber zu dieser Tussi-Schriftstellerin stilisiert und habe mir da diese Nische vermutlich geschaffen und die kann ich gut bedienen, weil es macht mir am allermeisten Spaß.
Denn auch am Anfang war es ja so, dass ich wenn ich, keine Ahnung, in linken Zentren oder so gelesen habe, dass man mir nicht geglaubt hat, dass ich ich bin und dass man mir nicht geglaubt hat, dass ich linke Literatur schreibe, weil ich so aussehe, wie ich aussehe. Und dann dachte ich, ah ja, da lässt sich noch was rausholen aus dieser Angelegenheit. Und es gibt ja nach wie vor so Tipps und „Regelwerk“, so wie wirkt man professionell im Büro zum Beispiel, Corporate Jobs. Jetzt bin ich natürlich in der Literatur oder in der Kunstwelt, ich kann ja quasi eh machen, was ich will.
Aber wäre ich jetzt Anwältin oder Richterin, dann könnte ich natürlich nicht in meinem Minirock ins Büro gehen oder ins Gericht gehen. Aber warum eigentlich? Also der Minirock wird mich nicht davor hindern, ein Urteil zu schreiben. Und das finde ich nach wie vor sehr spektakulär, weil es immer noch ganz stark greift. Aber wenn man dann natürlich sagt, ach, die Reisinger, die regt sich wieder über Sachen auf, die gar nicht mehr existent sind. Und das stimmt halt leider nicht.
VGB
Nee, also ich glaube schon, dass auch im Literaturbetrieb oft noch erwartet wird, dass man so understated ist. So ganz schlicht möglichst.
JR
Vor allem halt als Frau. Also du hast es ja schon gesagt, Frauen per se, also Schriftsteller*innen, also jetzt mal non-binäre Personen, trans Frauen und Frauen, alles mal so ein, ein, alles mal außer diesen cis-heterosexuellen Mann vielleicht, werden ja nochmal anders begutachtet. Und da ist es so auch irgendwie ein bisschen geil, dass es dann sofort über Identitäten natürlich auch gelöst werden soll. Also die ist unliterarisch, weil sie halt einfach nur Frauenthemen beschreibt.
Hilfe! Schreibt die mal, kann die mal was anderes schreiben. Und dann wäre es toll, wenn die Frau nicht so viel Raum einnehmen würde. Jetzt, ne, in meinem Fall zum Beispiel. Und ja, das gebe ich denen natürlich nicht. So, ich nehme einfach maximal viel Raum ein. Natürlich sitze ich da in meinem großen, rosa Schleifchenkleid auf der Bühne. Also was soll das?
VGB
Ja, und vor allem, also das sind so Bilder, ich meine irgendwie, dass so Frauenthemen nicht so legitim sind wie irgendwie andere Themen. Also das geht ja noch auf so Suffragetten zurück oder so. Das ist wirklich so, als ob... es fühlt sich schon manchmal an, als ob sich da tatsächlich relativ wenig verändert hat.
JR
Also das finde ich wirklich spektakulär, dass sowas immer noch um die Ecke kommt, da muss ich wirklich, also da weiß ich gar nicht, was ich machen soll. Und dann ist es ja auch, so neulich stand ich wieder, ich bin gerade sehr viel in Buchläden, weil ich immer so ein bisschen gucke, wo mein Buch steht. Und dann habe ich mich da immer so ein bisschen umgesehen jetzt wieder und habe festgestellt, dass es halt nach wie vor so ist, wie viele Bücher dann so rosa gebrandet werden.
Und dann so, oh, das ist wohl feministisch, dann machen wir mal lieber jetzt ein rosa Cover, nicht, dass das die falschen Leute da lesen. Mal schon kennzeichnen hier.
VGB
Damit auch ja keine Männer die feministischen Bücher lesen.
JR
Oh, schrecklich.
VGB
Meinst du, im Kulturbetrieb ist es nochmal besonders stark, weil das ja auf eine Art auch so ein ultra bürgerlicher, ziemlich wohlhabender Raum ist?
JR
Was meinst du, was besonders stark?
VGB
Diese Abwertung von, wie du es gerade genannt hast, von dem Tussi-haften.
JR
Ach, ich glaube, die passiert in vielen bürgerlichen Milieus. Also ich weiß auch nicht, warum ich die ganze Zeit an Anwält*innen und Richter*innen, ich weiß auch nicht, vielleicht muss ich nochmal Jura studieren oder so. Vielleicht, ich finde auch Gericht irgendwie so slightly sexy einfach. Ich habe so das Gefühl, da passiert immer sowas – I object. Ich glaube, ich muss mich mal in so eine Verhandlung setzen.
Auf jeden Fall, ich glaube, alle diese bürgerlichen, durchtränkten Milieus, die leiden darunter, dass sie das Vulgäre, das Billige, das Oberflächliche und so, das Dumme ablehnen, weil sie müssen sich ja irgendwie abgrenzen, also das ist dieses Ding, man will sich abgrenzen, also tritt man nach unten, das ist ein völlig falscher Mechanismus.
Und in der Kunst und Kultur ist es natürlich auch so, denn es ist durchtränkt von Geld, von Elite, von Reichtum. Aber es ändert sich ja gerade vielleicht ja.. Also ne, man versucht und man ist ja trotzdem so abhängig von ungefähr allem, das ist ja auch alles immer ein bisschen random und so.
Und dann hab ich mit diesem Buch schon auch Erfahrungen gemacht, dass ich in Sendungen gesprochen habe oder in anderen Podcasts oder große Lesungen gegeben habe und dass mir dann häufig Leute aus hohen Positionen, die aus gutem Hause kommen oder sich zumindest dahin manövriert haben, also mit sichtlich viel Geld, also man weiß es auch einfach, dass sie ordentlich viel Kohle haben, dass die dann gesagt haben, ah ja, dieses Buch sei ja interessant und diese Idee von dieser Art von Literatur wäre auch interessant, aber ein bisschen mehr Leid wäre schon gut gewesen. Ne?
VGB
Leid?
JR
Ein bisschen mehr Leid. Und dann habe ich mich gefragt, wie das denn sein kann, weil ich habe ja sogar darüber geschrieben in Pleasure, dass natürlich dieses Sujet der Prekären oder Prekärlebenden, das kann ja jetzt alles möglich sein im Film, das sind ja dann ganz oft so Drogenkonsument*innen oder so, oder Sexarbeiter*innen werden dann gerne dargestellt oder so, dass es ja auch durchaus glamourös ist, diese kaputte, verruchte Welt und so, da guckt man ja so gerne so drauf.
Und diese Gespräche, die ich dann führte im Anschluss von so großen Auftritten und so weiter, waren dann immer so, ja, es ist ja jetzt nicht so interessant, ob ich mir jetzt einen Prada-Schuh oder so gekauft habe oder wofür das dann steht, so kulturell und überhaupt, sondern es wäre doch viel interessanter, wenn ich ein bisschen mehr darüber geschrieben hätte, wie es denn so war ohne Strom und heißes Wasser. Und dann dachte ich so: Nee. Weil, das ist ja genau der Punkt. Dass wir, also diese Autor*innen und ich, um mich herum, die ja ähnliche Bücher auch gerade schreiben und wo wir uns ja auch alle aufeinander beziehen, dass wir ja genau sagen, ey, Leute, wir nehmen jetzt diesen Raum ein, aber wir bedienen eben nicht eure Geilheit auf unsere Leidensgeschichte.
Also weder dürft ihr unseren Klassenwechsel neoliberal ausschlachten und sagen, ja, guck mal, die kommt von Hartz IV und jetzt ist sie auch ganz oben und darf hier was, was weiß ich, auf welcher Bühne sitzen, noch dürft ihr euch in diesem Leid suhlen und sagen, meine Güte, war das schlimm da im Gemeindebau. Na, also unglaublich, dann lassen wir mal nochmal spenden jetzt hier. Und das fand ich erstaunlich, dass das so von, es kam von mehreren gut betuchten Personen.
VGB
Das ist ja auch, also richtig dreist.
JR
Super dreist, unfassbar dreist. Also erstmal die Chuzpe zu haben zu sagen, ey, das Buch wäre schon besser gewesen, wenn man da jetzt mal so ein bisschen, also hätte man noch ein bisschen was ändern können. Das finde ich schon so, okay, slightly übergriffig, aber okay, Mausi. Aber dann auch noch zu sagen, also, sorry, aber es wäre schon besser, noch ein bisschen mehr, ein bisschen mehr Schmerz.
VGB
Du schreibst von der Subversität der Tussi. Da möchte ich noch mehr zu hören. Also ich glaube, wir haben viel davon schon angeteasert. Aber ich liebe diesen Begriff.
JR
Die subversive Kraft der Tussi. Ja, genau. Ja, mein Durchbruch-Essay bei der Vogue. Das ist, glaube ich, dann auch schon drei Jahre oder so alt. Ja, also, ich habe natürlich auch als Teenie diese ganzen Phasen so durchgemacht, die man wahrscheinlich so durchgemacht hat, wenn man Anfang der 2000er Teenager war. Und dann bin ich ja auch noch vom Land, wir sind ja von München nach Österreich gezogen, von Österreich dann wieder nach tiefes Niederbayern. Und da war es so, dass ich dann natürlich die Tussis in meiner Klasse hardcore abgelehnt habe, weil ich mir dachte so, oh nein, die mache das alles nur für männliche Aufmerksamkeit, das geht natürlich gar nicht. Ich bin eins von diesen coolen Mädchen und höre dann stattdessen Metal, das macht überhaupt keinen Sinn, und trage Sachen, die mich auch überhaupt nicht interessieren und hänge die ganze Zeit nur mit Boys ab und das ist der Beleg dafür, dass ich nämlich besser bin. Weil ich bin nämlich nicht wie die anderen Mädchen, sondern ich bin fast ein Junge.
Das habe ich so eine Weile lang durchgezogen und dann habe ich irgendwann im Zuge des Lesungen geben und so weiter herausfinden, dass viele Leute finden, ich sehe nicht aus wie eine linke Autorin, die beim Verbrecherverlag publiziert und so. Da habe ich dann irgendwann festgestellt, Moment mal, diese Oberflächlichkeiten herrschen immer noch. Und habe das Ganze nochmal kurz hinterfragt und bin sofort auf diesen Mechanismus von früher gekommen, als ich halt unbedingt dieses Boys-Girl sein wollte – also so ultra-Misogyn – total internalisiert und alles andere, was so weiblich war und so weiter abgelehnt habe, um mich halt abzugrenzen, um mich besser darzustellen. Und die Tussi macht ja etwas ganz Tolles, weil sie bricht mehrere Regeln, die so einer Frau gemäß der tradierten Gender-Rollen so auferlegt werden.
Also dieses, sie soll höflich sein und lieb und nicht zu fordernd. Sie soll irgendwie schön sein, aber jetzt auch nicht zu schön. Sie soll ein bisschen sexy sein, kann sie auch, aber auf jeden Fall Sex haben und so. Vor allem nicht viel. Und was die Tussi aber macht, ist, die sagt einfach, die sagt ein einziges großes Fuck you und zwar schon mit ihrer Erscheinung und die will nämlich irgendwas. Also ob das jetzt Aufmerksamkeit ist oder was weiß ich, Geld, will sie auch Liebe oder vielleicht will sie auch einfach nur Sex. Sie signalisiert das auf jeden Fall, weil sie schon durch ihr Auftreten diese Regeln bricht. Die nimmt so richtig viel Raum ein. Das liegt natürlich an diesen kurzen Kleidchen und an den gemachten Nägeln und an dem Make-up und an diesen ganzen Accessoires und all diesem Ganzen, auch an dieser Attitüde.
Und dass sie dann natürlich abgewertet werden musste und dann hat man einfach gesagt, ah, warte mal, die beschäftigt sich mit Oberfläche, also ist sie dumm. Das ist ja das größte Klischee, die Tussis sind alle so dumm, man kann mit denen kein tiefes Gespräch führen. Und das habe ich dann irgendwann alles so mal versucht zu verarbeiten und habe dann festgestellt, warte mal, aber sie hat durchaus eine subversive Kraft inne. Und zwar, erstens kann man damit auch spielen. Es gibt ja nicht nur diesen tollen, es gibt ja diesen tollen Slogan, work hard, not, äh, stopp, dieser tolle Slogan, work smart, not hard. Also, sei schlau, stell dich dumm. Also, man kann durchaus andere für sich arbeiten lassen. Das ist auch eine Trope, die es natürlich in vielen Filmen auch gibt. Und es gab es auch kurz mal in so einer feministischen Welle, so rund um die 90er, Anfang 2000, die Bimbofication, dass man so tut, als würde man wirklich jetzt diese Aufgabe nicht leisten können, damit jetzt sich ein Mann berufen fühlt und es dann zu erledigen, weil sie ja so gerne retten wollen.
Aber man kann tatsächlich auch damit spielen, wie zum Beispiel in meinem Fall, dass sie mich halt natürlich gnadenlos unterschätzen und dann gar nicht damit klarkommen, wenn man sie dann in Windeseile zerlegen kann.
Weil dieses Bild von Intellektualität mit einer Hingabe an Mode zum Beispiel immer noch nicht zusammengeht. Das liegt natürlich aber auch an dieser Trennung, die wir in Deutschland auch haben mit Hochkultur und Unterhaltungskultur. Diese absolute Trennung von das ist wahre Kunst und das ist irgendwie Trash für die Masse. Wenn man jetzt aber versteht, dass man ja gleichzeitig auch unterhaltend sein kann und man sehr kluge Bücher schreiben kann und man kann trotzdem sehr witzig sein oder irgendwie auch geile Looks delivern, dann hat man viel mehr Spielfläche auch.
Und ich liebe das natürlich, mich da so durchzumanövrieren.
Jetzt mit dem Feminismus der vierten Welle hat man sich so ein bisschen mit der Tussi ja endlich versöhnt. Es liegt natürlich einerseits an Barbie-Core und Barbie-Core per se ist ja nicht nur der Trend um Barbie gewesen, sondern auch das Y2K-Revival natürlich. Die Fashion ist zurück. Ich weiß nicht, ob sie dieses Jahr immer noch zurück ist, aber sie war auf jeden Fall kurz da. Sondern, dass man irgendwie etwas anderes auch verstanden hat. Nämlich dass die High Heels, der Lippenstift, der Lipgloss und so weiter, waren halt nie das Problem. Es sind immer die Strukturen.
Und ich verstehe das total, dass man sich zum Beispiel in der Lesbenbewegung der zweiten Welle, dass man sich da abgrenzen musste. Man hat gesagt, wartet, wir müssen mal kurz diesen male gaze überprüfen und müssen uns mal angucken, was bedeutet es eigentlich, die ganze Zeit so sexualisiert zu werden und was bedeutet es, wenn andere so Vorteile davon haben und damit spielen und man wendet sich dem Ganzen ab. Das war total richtig. Es war auch total wichtig, auch zu sagen, was sind eigentlich Schönheitsideale? Das alles mal zu hinterfragen. Wer sagt eigentlich, wer schön ist und so weiter und so fort.
Jetzt kann aber diese große Versöhnung stattfinden. Und man kann auch eine heiße Ische sein und trotzdem kluge Kunst machen zum Beispiel.
It's fun. Leute, es ist eh so düster und so grausig draußen. Lassen wir doch einfach mal Spaß und mir mein Make-up drauf klatschen. Bitte.
VGB
Kommen wir zur zweiten Alltagskategorie und zwar das Essen. Ja. Und ich finde es irgendwie so interessant. Also ich meine, das ist ja bei allen dreien Alltagskategorien so. Aber beim Essen besonders ist für mich auf jeden Fall auch ganz oft so, sich was gönnen, Genuss und Lust. Und gleichzeitig aber auch irgendwie sowas, worum man sich kümmern muss, was man mal schnell erledigen muss. Irgendwie, weil sonst funktioniere ich halt nicht. Also so dieser inhärente Widerspruch.
JR
Genau und deswegen muss man natürlich herausfinden, wie man sich da so den Pleasure jetzt irgendwie aneignen kann. Also es kann ja wirklich alles möglich sein, von dem romantischen Dinner und der Auster bis hin zu meinem neuen Lieblings-Liebessymbol, der Essiggurke. Kann das natürlich mit, kann da, weil bei Essen ist es wirklich spannend. Man kann da wirklich in alle Richtungen irgendwie arbeiten.
Aber du hast natürlich recht, es ist einerseits diese Notwendigkeit, die natürlich auch tragisch ist, sobald man keine Kohle mehr auf dem Konto hat, ist die Qualität des Essens auch eine ganz andere. Da stellen sich ganz andere Fragen. Also ich kann mich an Zeiten erinnern, da haben nur wir Kinder zu essen bekommen und meine Eltern haben so getan, als hätten sie keinen Hunger. Und dann gab es aber auch Zeiten, wo es die allerfeinsten Speisen gab. Und das ist sowieso, ich finde Essen immer so ein absurdes Ungleichgewicht irgendwie.
VGB
Und auch ja, also total verbunden mit irgendwie Herkunft und Zugehörigkeit. Was hat man zu Hause gegessen? Aus welcher Kultur kommt das?
JR
Was kennt man? Wie wurde man auch mit Essen? Also ich denke schon, dass man auch im Essen erzogen werden muss. Oder wenn man.. Also es ist wahrscheinlich sehr viel schwieriger als Erwachsene Person so eine Neugierde auf Essen zu bekommen, wenn man nie mit einer besonders großen Varianz in Berührung kam oder so. Zumindest stelle ich es mir so vor. Das weiß ich nicht, weil ich bin ja wirklich, also mein Vater war ja am Anfang noch Küchenchef oder in einer hohen Position mit der Lufthansa. Das heißt, ich hatte natürlich Zugang zu exotischen Früchten und Speisen, die auch Ende der 80er, Anfang der 90er jetzt nicht selbstverständlich überall zu finden waren. Also wo es auch noch ganz viele Sachen nicht einfach im Supermarkt gab.
Und ich wurde natürlich aber auch so erzogen, weil Essen für meine Eltern so etwas unglaublich Wichtiges war, wurde mir diese Neugierde auch so beigebracht. Also wenn man irgendwo ist, dann wird einfach mal probiert. Also man probiert einfach alles und dann stellt man schon fest, was man will und was man nicht mag und so.
VGB
Und du schreibst auch darüber, dass Verzicht inzwischen oft als so absoluter Luxusbeweis gesehen wird.
JR
Genau, also es gibt ja im Essen und in der Esskultur, je nachdem natürlich, wo man sich jetzt befindet, auch starke Schwankungen, also diese Idee von, ich muss ja gar nicht mehr essen, sondern ich kann alles durch Supplements irgendwie regeln, ist natürlich schon längst irgendwie in so einer merkwürdigen Businesswelt angekommen. Das wo es dann immer so Videos gibt von Superstars und so: „Ich nehme nur diese 50 Supplements und dann komme ich durch meinen Tag und bin mega fit und arbeite 18 Stunden und so habe ich meine Millionen verdient“.
Und dann gab es einen neuen Trend, das fand ich auch total interessant. Nachdem man ja erstmal kurz in Restaurants war und alles dampfte und rauchte und Molekularküche hier und dort und überhaupt, dass man jetzt einfach mal gar nichts mehr isst.
Und der größte Luxus ist die Askese. Das finde ich auch eine interessante Bewegung, weil die einen essen halt nicht, weil sie kein Geld haben und die anderen haben super viel Geld und essen nicht, weil sie jetzt ihren Körper bezwingen wollen. Aber das mit diesen Körperbildern ist ja sowieso immer sehr interessant zu beobachten, würde ich jetzt mal sagen. Also jetzt auch mit Ozempic, man sieht ja seit geraumer Zeit Stars einfach beim Abnehmen zu.
VGB
Ozempic ist dieses Abnehmen-Medikament.
JR
Eigentlich ja ein Diabetesmittel, was aber ganz viele Leute zum Abnehmen benutzen. Und das ist natürlich auch interessant, weil es natürlich ganz viele Bewegungen, so gerade Body Positivity oder so, jetzt einfach mal wieder kurz ad absurdum geführt hat. Und das natürlich ein anderes Verhältnis zu Essen plötzlich gibt. Also die Nebenwirkungen, die die ja recht häufig beschreiben, ist Lustlosigkeit. Also nicht nur in Bezug auf Essen, sondern auch in Bezug auf alles andere. Und das finde ich natürlich schon wieder interessant als Betrachtung.
VGB
Ja, und wo bleibt da die Pleasure dann?
JR
Ja eben, wo ist es denn? Also wenn, das finde ich, also ich könnte es mir gar nicht vorstellen, weil ich so Angst davor hätte, meine Lust zu verlieren. Also wirklich auch auf alles. Und ich gehe ja schon davon aus, dass Leben und Liebe und so weiter, das hat ja alles viel mit Essen und mit dieser Lust einfach an allem zu tun.
Und ich denke viel über Ozempic nach und frage mich immer, wie ist das, wenn sich das so einschleicht? Wie geht man dann so durchs Leben? Weil ich gehe ja so durchs Leben, dass ich mir die ganze Zeit denke, so geil, was kommt als nächstes?
Also hier der Podcast und dann, was passiert dann?
VGB
Naja, und aber auch, also was macht das mit den Normen rund um Körpern?
JR
Ja, ja, ja, auch. Also das meinte ich ja, das ist plötzlich diese Idee von ah, alle Körper sind schön und man muss sich nicht schämen und so, was man ja auch wirklich einfach nicht muss, wird ja plötzlich irrelevant, wenn alle wieder so aussehen. Ich meine, Christina Aguilera sieht aus wie vor 20 Jahren. Lindsay Lohan auch. Wie kann das sein?
Und dann sieht man wieder, okay.
VGB
Und muss das sein?
JR
Ja, muss das sein? Und man sieht wieder, okay, da geht es sofort wieder um Klasse, da geht es sofort wieder um Zugang, es geht immer um Geld. Puh. Ja.
VGB
Und also mit der Alltagskategorie Schlaf ist es ja auch so ein bisschen wie beim Essen. So ist es irgendwie das Normalste der Welt, bis man es dann nicht mehr hat.
JR
Ja, die Frage, wer kann eigentlich gut schlafen, ist doch wirklich, also da guckt man doch dann sofort so, wie Leute arbeiten zum Beispiel. Also Schichtdienst und so weiter. Oder wie viele Jobs Leute machen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Die haben natürlich wesentlich weniger Schlaf. Ich merke, ich brauche so stabile acht bis zehn Stunden. Und wenn ich die nicht bekomme, also abgesehen jetzt von so einer wilden Berlinale-Zeit, dann nehme ich das dann so gerne in Kauf. Aber in so anderen Phasen, dann funktioniert ganz viel schon mal wieder nicht. Dann arbeite ich schlechter, dann bin ich unkonzentriert und so weiter und so fort.
Und das hat natürlich auch Auswirkungen. Also Menschen, die gezwungen sind, in bestimmten Tätigkeiten zu arbeiten, die gleichzeitig sehr gefordert werden oder denen der Schlaf anderweitig so entzogen wird, sind natürlich anders auch klein gehalten auf eine Art und Weise. Also das Leben strukturiert sich plötzlich anders. Also Personen, die nachts arbeiten, gehen anders durch diesen Alltag wie andere Personen, die mit viel Geld und auch schlafen könnten oder so weiter.
Und dieser Trend von Spitzen-CEOs und so weiter, die dann ja immer gesagt haben, ich schlafe nur vier Stunden, das hat sich ja auch so ein bisschen aufgelöst. Zum Glück, man hat jetzt verstanden, die Leute brauchen Schlaf zur Regeneration.
Und da sie halt untätig sind im Prozess des Schlafens, versucht man halt, also man kann das irgendwie nicht so wirklich kapitalistisch ausschlachten, weil sie hat nichts herstellen können in dem Moment. Sie leisten nichts, wenn sie schlafen. Sie stellen sich nur selbst wieder her.
Versucht man halt alles drumherum zu durchkapitalisieren oder kapitalistisch zu vermarkten. Also gibt es unfassbar viele Produkte, um den Schlaf zu fördern und zu verbessern und noch tiefer und noch geiler zu machen. Und man merkt so, wie das alles so richtig so in jeden Lebensbereich natürlich alles so reindringt in diese absolute Selbstoptimierung oder Überoptimierung.
Und das fand ich schon auch sehr interessant, dass es gerade dann in der Literatur ganz oft das Motiv des Schlafens gibt, um sich natürlich auszuklinken oder um irgendwie halt zu träumen, zum Beispiel. Die Idee, meine Träume sind so unproduktiv, damit kann niemand was anstellen, die gehören nur mir und so. Deswegen habe ich auch viele meiner Träume aufgeschrieben.
VGB
Ich habe deine Träume gerne gelesen.
JR
Sie handeln meist von Essen. Ja, was soll ich machen? Es wird viel gegessen in meinem Kopf.
VGB
Vom Essen und von den Personen in deinem Leben, was ja auch irgendwie Sinn ergibt und vielleicht auch das Pleasure-haltigste ist. Vielleicht so zum Abschluss, Pleasure ist ja ein Manifest. Kannst du noch mal so zusammenfassen, wofür plädierst du eigentlich?
JR
Ja. Ich plädiere dafür, dass man sich auf jeden Fall erstmal bewusst wird, unter welchen strukturellen Benachteiligungen man eigentlich so durch das Leben sich selbst manövriert und man durchaus versucht herauszufinden, was einem selber Pleasure auch bringt. Also es kann ja wirklich diese instante Bedürfnisbefriedigung sein. Manchmal ist es ja wirklich die Essiggurke aus dem Glas oder es ist halt die Designer-Handtasche, die man sich dann zusammengespart hat oder irgendwas anderes.
Und dass man sich das auch noch traut, aber auch, dass man wirklich einfach Raum einnimmt. Also es geht, ich denke, so viel über das Raumeinnehmen nach, weil ich so häufig an diese Grenzen stoße, des guten Benehmens, des guten Geschmacks, die ich für vollkommen falsch halte und wo ich wirklich der Meinung bin, man muss die komplett überdenken.
Ich bin der Meinung, man muss sich durchaus benehmen können. Es geht jetzt nicht um Respektlosigkeiten. Also ich will jetzt auch nicht, dass jetzt alle irgendwie essen in öffentlichen Räumen. Ich hasse es, wenn Leute im Zug stinkendste Speisen verzehren. Auch da werde ich total wütend und finde es einfach respektlos und schlechten Stil, so etwas zu machen. Darum geht es mir nicht.
Es ist nicht so eine Punk-Attitüde, die sagt so, wir reißen uns alles nieder. Aber was ich jetzt sagen würde ist, man muss diese Klassentrennungen wirklich gut betrachten und anstatt zu sagen, ey, man muss die erste Klasse abschaffen, muss man tatsächlich sagen, nee, nee, nee, man braucht die erste Klasse für alle. Also alle sollen diesen guten Standard auch erreichen können oder haben können einfach. Wieso gibt es kein bedingungsloses Grundeinkommen zum Beispiel? Wieso sorgt man nicht dafür, dass Leute essen können? Also man kann ja nicht gleichzeitig sagen, es ist aber schon ein bisschen blöd, wenn du die ganze Zeit diesen Schablettenkäse isst und dieses Toastbrot. Geh doch mal in den Biomarkt und ordentlich einkaufen für dich und deine Kinder, wenn man ihnen gleichzeitig das ganze Geld kürzt. Und sie sind einfach nicht selbstverantwortlich, wenn sie dann zum Beispiel krank werden oder so. Und man sagt dann immer so, oh nein, selber schuld, weil man ernährt sich ja so schlecht oder so.
Und es geht mir wirklich um die Ungerechtigkeiten und es geht mir wirklich darum, dass man diese Mechanismen so ein bisschen begreift. Dieses, warum wird nach unten getreten? Warum dieses Abgrenzen? Warum diese Idee von Trash oder diese Ablehnung von Trash-Kultur, von Camp auch und auch diesen ganzen Spielarten von Glamour. Glamour ist jetzt nicht unbedingt in einem Chanel-Kostüm Champagner zu trinken in der sechsten Etage vom KDW. Nee, einfach nee.
Aber Glamour wäre schon in einem fotzigen, von mir aus auch Ballkleid, dann was weiß ich wo zu sitzen, in irgendeinem Imbiss zum Beispiel. Das ist durchaus glamourös. Also es geht um diese Brüche. So, das habe ich jetzt, glaube ich, gut zusammengefasst.
VGB
Ja, glaube ich auch. Vielen Dank, Jovana.
JR
Ach, danke für die Einladung.
VGB
Und wer jetzt neugierig geworden ist, es ist in einem wunderbar plaudernden Ton geschrieben und geht vielleicht auch gerade deswegen intellektuell sehr in die Tiefe. Pleasure von Joana Reisinger ist beim Ullstein Verlag erschienen. Tschüss und bis zum nächsten Mal.
JR
Tschauii.
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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.