In der heutigen Zeit ist eins wichtig: Trotzdem weitermachen. Das bedeutet: Trotzdem schreiben, trotzdem zuhören und vor allem: Trotzdem sprechen. So heißt auch das Buch, das Mirjam Zadoff mit Lena Gorelik und Miryam Schellbach dieses Jahr herausgebracht hat. Es vereint verschiedene Positionen zum Nahostkonflikt. Mirjam Zadoff ist Direktorin des NS-Dokumentationszentrums in München, und beschäftigt sich seit Jahren mit jüdischem Leben. Wie es weitergehen kann, darüber hat sie mit Frieda Ahrens gesprochen.
Zum Nachlesen
Frieda Ahrens:
Hallo und herzlich willkommen zu der neuen Folge des Literaturhaus Podcasts, dieses Mal mit Frieda Ahrens! Und zu Gast in dieser Folge ist Mirjam Zadoff, sie leitet das Münchner NS-Dokumentationszentrum. Hallo Mirjam, herzlich Willkommen!
Mirjam Zadoff:
Hallo Frieda!
Frieda Ahrens:
Für alle, die dich noch nicht kennen, erkläre ich jetzt mal ein bisschen, wer du bist und wenn es dabei Fehler gibt, unterbrichst du bitte direkt. Du bist uns - nehme ich an - zugeschaltet aus München, wo du lebst und arbeitest?
Mirjam Zadoff:
Genau!
Frieda Ahrens:
Und nicht nur leites du da das NS-Dokumentationszentrum, du bist auch Dozentin an der LMU München und lehrst dort in der Fakultät Geschichte. Und was dich wahrscheinlich am meisten mit so einem Literatur Podcast verbindet: Du bist Autorin und Herausgeberin. 2023 erschien dein Buch “Gewalt und Gedächtnis. Globale Erinnerung im 21. Jahrhundert” und 2024, also dieses Jahr, ist “trotzdem sprechen” erschienen, ein Essayband, den du mit herausgegeben hast und wo du auch einen Text beigetragen hast. Du beschäftigst als dich also sehr viel mit Erinnerungskultur, mit jüdischer Geschichte und auch mit jüdischer Gegenwart. Habe ich das so gut zusammengefasst?
Mirjam Zadoff:
Super!
Frieda Ahrens:
In deinem Buch “trotzdem sprechen” kommen verschiedene Perspektiven zum Israel Palästina Konflikt zu Wort und du beschreibst darin ein Raum. Und da steht: “einer warmen Hülle, weil Menschen darin sich wünschen, trotz allem gemeinsam weiterzudenken, füreinander da zu sein, gerade jetzt.” Sollte das Buch diesen Raum schaffen? War das der Ansatz?
Mirjam Zadoff:
Ja das war eigentlich genau der Ansatz, den wir hatten. Das Buch ging hervor, eigentlich aus einem Text den Lena Gorelik geschrieben hat, kurz nach dem 7. Oktober, aus dieser ja großen Irritation über das was passiert ist an diesem Tag. Und dann eben auch darüber wieder in Deutschland damit umgegangen wurde. Eben einerseits ist eben ein unglaublich schnell wachsender Antisemitismus und gleichzeitig aber auch so eine Zuspitzung von Positionen. Und diesen vielen Fragen die aus dieser ungelösten Situation entstanden sind. Lena hatte in diesem Text auch über den 8. Oktober, also über die Landtagswahlen in Bayern gesprochen und über den Rechtsruck, der in ihr dann eine weitere Sorge ausgelöst hat. Und auf diesen Text hin ist dann Miryam Schellbach auf sie zugekommen und hat gesagt: Könnten wir nicht einen Essayband gemeinsam herausgegeben? Und dann sind die beiden auf mich zugekommen und dann haben wir uns gemeinsam Gedanken gemach: Mit wem man jetzt gerne ins Gespräch kommen würde und welche Räume jetzt notwendig sind. Und dieses Buch ist eigentlich so ein bisschen steht für den physischen Raum. Und ein Buch ist ja ein Objekt, da entsteht also tatsächlich ein Raum. Und was sehr spannend war, ist, dass die Autorinnen und Autoren, sich bereit erklärt haben, mitzumachen, obwohl sie nicht genau wussten wer noch in diesem Raum sein würde. Was ja bei dieser Thematik nicht so ganz einfach ist. Es gab Leute, die auch nicht mitmachen wollten, einfach weil sie gesagt haben “ich kann nicht schreiben” oder” ich möchte mich nicht öffentlich äußern, ich weiß gar nicht was jetzt zu sagen”. Aber es gibt eben auch viele die sofort gesagt haben “ja das ist eigentlich genau das was ich jetzt möchte: etwas schreiben”. Ja daraus entstanden sind eben viele sehr persönliche Texte, also die meisten von denen sind sehr persönlich, die aus seiner sehr ungelösten Situation heraus schreiben. Also das Buch bietet sozusagen keine konkreten Perspektiven an, sondern es geht wirklich um diese Frage: Können wir jetzt eigentlich weiter sprechen? Und unter welchen Bedingungen?
Frieda Ahrens:
Ich finde es spannend, dass das Buch “trotzdem sprechen” heißt, obwohl ja im Grunde niemand miteinander spricht. Es sind sehr viele unterschiedliche Positionen in dem Buch, wo ich auch spannend finde wie ihr quasi die Auswahl getroffen habt, das hattst du gerade schon kurz angedeutet, aber im Grunde schreibt jeder so ein bisschen für sich. Und schreiben ist da ja auch oft als Akt der Überwindung oder “wie gehe ich jetzt damit um” des Handelns, die Situation wird verarbeitet, durch das Schreiben - so rum. Aber im Grunde spricht ja keiner miteinander. Wieso heißt es denn trotzdem “trotzdem sprechen”?
Mirjam Zadoff:
Also es stimmt nicht ganz. Es gibt ja ein Gespräch. Am Ende des Buches gibt es ja ein Gespräch zwischen im unterschiedlichen Protagonistinnen, das per Zoom stattfinden musste, weil, obwohl wir versucht haben alle irgendwie in einen Raum zu bekommen oder in eine Stadt, das dann so kurzfristig nicht möglich war. Aber es ist tatsächlich so, dass die meisten Texte aus so einer gewissen Isolation heraus oder diesem Gefühl, jetzt gar nicht so viel Gesprächspartnerinnen zu haben, entstanden sind. Und das in manchen dieser Texten über Gespräche berichtet wird oder über einen Austausch oder über Räume, in anderen ist es aber auch nur über Träume. Also zum Beispiel Maryam Zaree erzählt von ihren Träumen. Also es geht um sehr unterschiedliche Formen oder Versuche, zu einer Form von Kommunikation wieder zu kommen. Und eben auch wenn es nur um das Erzählen der eigenen Träume geht. Und letztlich natürlich auch den Wunsch, dass aus dieser Erzählform heraus dann Gespräche entstehen. Und das war eigentlich ganz interessant zu beobachten, dass abgesehen von den klassischen Buchpräsentationen, es ist schon mehrere Veranstaltungen gab, die entweder tatsächlich auch diesen Titel “trotzdem sprechen” haben also die sich da sozusagen so ein bisschen dran bedienen, das Klauen - also jetzt mal so unter Anführungszeichen - oder dann sagen “trotzdem zuhören” und das ist eigentlich genau das was wir wollten oder gehofft haben. Das es ein Akt, ein Einüben von. erstmal sprechen dann aber eben auch zuhören und miteinander ins Gespräch kommen, ein bisschen vorlebt oder vordenkt und dann machen unterschiedliche Leute auf ihre Art und Weise mit.
Frieda Ahrens:
Ich habe es gerade schon ein bisschen angedeutet, du hast am Anfang auch gesagt, dass einige gesagt haben “Ich kann gerade nicht schreiben, ich kann mich da gerade nicht mit auseinandersetzen oder auch was zu Papier bringen”. Das ist ja viel Thema in den einzelnen Essays, dass es um das Schreiben, um Ringen um Worte und das wird immer wieder Thema. Du beschäftigt sich ja viel mit Erinnerungskultur und auch viel mit “wie werden Sachen zum Ausdruck gebracht”. In so Zeiten, wo es um Angriff und um Krisen geht - ist da das Schreiben wichtiger? Wird es mehr? Wird's weniger? Wandelt es sich in seiner Bedeutung?
Mirjam Zadoff:
Ja das ist eine total wichtige Frage, weil also normalerweise oder üblicherweise, wenn es zu einer Form von Gewalt kommt, wenn es zu Kriegen kommt, wenn es zu also sehr schlimmen Erfahrungen kommt, die eine ganze Gesellschaft betreffen, die einzelne Gruppen, einzelne Minderheiten betreffen, ist es ein sehr langer Prozess bis es überhaupt zu einer Form des Sprechens kommt. Hat in unterschiedlichen Kontexten einfach immer Zeit in Anspruch genommen. Und es ist ein schwieriger Prozess, weil man braucht eine Form von gesellschaftlichen Vertrag, wo man überhaupt einander wieder vertraut und miteinander spricht. Nun sind wir jetzt nicht Zentrum des Konfliktes, um den es hier geht, des Krieges, aber viele Leute sind direkt betroffen über ihre Familien über Freunde. Und sind eben in diese Frage eingebunden: Wie können wir denn jetzt eigentlich überhaupt mit dieser Gewalt umgehen? Mit den Ängsten umgehen? Mit der Unsicherheit umgehen? Und das Schreiben und Erzählen ist jetzt erinnerungskulturell ein unglaublich wichtiger Prozess, weil es darum geht, Sinnzusammenhänge herzustellen oder eben auch zu sagen, dass es eigentlich keine gibt. Das ist ein Problem gibt, dass es das ist um Fragmentierung geht, dass es nicht um Kontinuitäten geht, sondern um Brüche. Und die zu äußern. Aber aus diesem Schreiben und dem Erzählen entsteht eine Form von Geschichte, von Geschichten, über einen Moment, der vielleicht erstmal nicht erzählbar scheint und deswegen finde ich das so eine ganz wichtige Praxis, mit der man wahnsnnig viel machen kann.
Frieda Ahrens:
Jetzt, um auf den Moment zurückzukommen, den ich eben schon erwähnt habe: Wie seid ihr daran gegangen? Wie habt ihr da eine Auswahl getroffen? Habt ihr auch bewusst Menschen nicht gefragt? Wie ist das vonstatten gegangen?
Mirjam Zadoff:
Also es war klar dass wir kein klassisches Debattenbuch zusammenstellen wollten, das heißt wir sind jetzt nicht auf Leute zugegangen, von denen wir wussten, die würden jetzt extrem zuspitzen, die würden jetzt sehr stark sozusagen auf den Konflikt hinschreiben. Oder eben auch Menschen, von denen wir dachten, dass sie sich auch nicht wohl fühlen würden dabei. Also jetzt jemand zu überreden und zu sagen “schreib bitte für so ein Buch” oder “schreiben Sie bitte für so ein Buch”, wo man weiß, das geht gar nicht. Es gibt Menschen, die dann auch so betroffen sind, dass das klar war, dass sie das nicht machen würden. Und da haben wir versucht, so ein bisschen sensibel zu überlegen, wer würde da gut passen, wer würde sich auch wohl fühlen in dem Raum mit anderen Menschen? Und es gibt da aber natürlich auch Texte, die also die sehr ja die sich sehr von den anderen unterscheiden und die auch durchaus auch Positionen formulieren, wo wir jetzt auch als Herausgeberinnen nicht bei allem sagen würden “da stehen wir dahinter”. Sondern das sind jetzt Positionen, die die dort vertreten werden, die von einer Person vertreten werden, die einen Blick ist, der sehr subjektiv ist. Den man aber in einer Form von demokratischen Dissens auch aushalten kann. Es war klar, dass wir natürlich nicht etwas veröffentlichen, was eine Form von Aggression oder Hass, die da formuliert werden könnte und die sehr häufig formuliert wurde in diesem ganzen Kontext und in diesen Monaten, das war klar: Da gibts Limits. Aber eben auch ja sehr subjektive Blicke, das war klar: Das müssen wir auch aushalten, das gehört dazu. Es gab aber auch Menschen, die wir gefragt haben, das erwähnen wir in der im Vorwort, es gab einen palästinensischen Autor, der erst zugesagt hatte, einen Text zu schreiben, dann hat er den Text zurückgezogen. Dann haben wir ihn gebeten, diesen Brief der Absage, den er an uns geschickt hat, abdrucken zu dürfen. Das wollte er erst, dann wollte er es doch nicht, dann haben wir aus diesem Brief einen Satz zitiert. Also das war auch ein komplexer Prozess. Und wo auch klar war, das gehört da eben auch dazu. Auch das jemand dann sagt: Ne, das will ich jetzt nich machen.
Frieda Ahrens:
Habt ihr Texte zurück bekommen, wo ihr schlucken musstet? Und euch dann doch dagegen entschieden habt, die zu veröffentlichen? Oder seid ihr nochmal drüber gegangen? Also gab es eine Art von Redigat?
Mirjam Zadoff:
Es gab ne Art von Redaktion, klar. Also es gab jetzt nicht so Texte, wo wir gesagt haben “Ne, das geht nicht.” Es gab Diskussionen mit Autor:innen, wo wir überlegt haben: Ist es jetzt die richtige Formulierung? Kann man das so sagen? Und in manchen Fällen haben die uns zugestimmt, in anderen nicht. Und so sind eben auch Sätze entstanden, wo wir auch nicht immer im Konsens waren, und gesagt haben “Ja, das ist gut” und dann gab es eine von uns, die gesagt hat “Ne, das find ich eigentlich nicht so gut, aber es ist auch okay wenn es da steht”. Aber es gab immer auch in Diskussionsprozess mit Autor:innen. Wo wir dann einfach auch Vorschläge gemacht haben, also nicht Vorgaben, sondern Vorschläge. Und einfach es uns wichtig war zu sagen: Es geht jetzt nicht darum, dass man permanent Konsens herstellt, sondern das es um einen respektvollen Dialog geht oder um einen respektvolles Gespräch, wo klar ist: Die Sorgen und die Bedürfnisse der jeweils anderen Seite oder der dritten Seite müssen auch respektiert werden.
Frieda Ahrens:
Wir führen das Gespräch ja auch, weil vor ein paar Wochen in Bremen die Globale stattgefunden hat, das ist ein Festival für grenzüberschreitende Literatur. Und das Thema der Globale war auch: Die Perspektive wechseln. Du hast gerade am Anfang angedeutet: Perspektivwechsel war es nicht so wirklich. Hast du das gesagt? Oder hab ich es falsch verstanden? Oder sind es einfach nur verschiedene Positionen? Ich wollte im Grunde fragen: Warum ist Perspektivwechsel denn wichtig? Also warum ist es wichtig, mal die Perspektive zu wechseln oder muss man es überhaupt?
Mirjam Zadoff:
Also ich weiß nicht, ob in der Situation jetzt gerade, also die Texte sind ja alle unmittelbar in der Zeit nach dem 7. Oktober und den beginnenden Krieg entstanden, und für viele der Autor:innen war die persönliche Betroffenheit, die Bedrückung, auch zum Teil eben auch einfach Angst und Sorgen, um sich selber, die eigene Familie, um Menschen, die man liebt und Angst hat zu verlieren, so präsent und so groß, dass klar war: Wir können jetzt keinen Perspektivwechsel verlangen oder erwarten oder sagen: “So jetzt, bitte schaut doch mal die andere Seite”. Sondern ist auch okay, zu sagen “diese Texte können auch ganz radikal subjektiv sein”, gerade eben wenn es eine persönliche Betroffenheit gibt. Aber es ist natürlich auch spannend, wenn es dann eben Texte gibt die sich also jetzt empathisch auch mit der anderen Seite beschäftigen. Und du hast drüber nachdenken. Aber ich glaube, in Momenten in einer großen Verletzung ist Empathie sehr schwierig und die ist dann vor allem gegeben oder sollte da gegeben sein, von Personen die nicht so unmittelbar persönlich betroffen sind. Aus diesem Wunsch ist ja auch dieses Buch entstanden, nämlich auch noch mal zu fragen: Welche Mehrheitsgesellschaft gibt es hier? Oder deutsche Gesellschaft, wo Menschen eben nicht unmittelbar betroffen sind, aber trotzdem eben zu sehr extremen Positionierungen neigen? Warum ist das denn so, dass sich jetzt alle irgendwie auf eine Seite schlagen und unfähig sind, zu sehen, dass es bei also auf beiden Seiten auf unterschiedliche Weise extremes Leid und extremes Entsetzen und extremen Schmerz gibt? Also das stand immer im Hintergrund, diese Frage: Warum ist das gerade so schwierig? Und was ist so schwierig?
Frieda Ahrens:
Ich habe beim Lesen des Buches nochmal gedacht: Es ist gar nicht so schwierig. Wenn man sich das durchliest und sich diese verschiedenen Perspektiven durchliest, dann ist der Konflikt gar nicht so schwierig. Und es ist gar nicht so schwierig zu sagen: Das und das ist unmenschlich, die Gewalt geht zu weit. Ich fands total spannend, denn genau als Person, die nicht persönlich betroffen ist, die dieses Buch liest, habe ich den Perspektivwechsel gut hinbekommen. Verstehst du, was ich meine?
Mirjam Zadoff:
Ja verstehe ich, aber das ist super interessant, das zu hören. Weil das natürlich also natürlich toll, wenn das wenn das irgendwo auch funktioniert. Und wenn also wenn es auch möglich ist, als Leserin die Seiten so ein bisschen zu wechseln und unterschiedliche Perspektiven wahrzunehmen.
Frieda Ahrens:
Also ich hatte mit Perspektivwechsel gar nicht gedacht, dass die Autor:innen oder Menschen, die betroffen sind, es hinkriegen müssen, die Perspektive zu wechseln, sondern als Mensch, der sich mit dem Thema auseinandersetzen will, der keinen persönlichen Bezug hat, ist es glaube ich wichtig, sich mehrere Perspektiven anzuhören, um diesen Perspektivwechsel hinzukriegen. Und ich habe auch das Gefühl, dass es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft öfter nicht so gemacht wird, obwohl das gar nicht so schwer wäre, weil eben die persönliche Betroffenheit gar nicht vorhanden ist.
Mirjam Zadoff:
Ja das ist wirklich eine ganz interessante Frage, weil das was nach dem 7. oder am 7. Oktober, mit dem 7. Oktober und den Wochen danach passiert ist, ist ja bei vielen Menschen eine Form von Retraumatisierung. Also gerade eben zweite, dritte Generation Holocaustüberlebende, egal ob jetzt in Deutschland oder in Israel, da ist eine ganz existenzielle Angst, die dann aufgebrochen ist und vieles aufgemacht hat. Auf eine andere Art und Weise ist natürlich bei Palästinänser:innen, die in Deutschland leben, genauso passiert. Zu sagen, da wird auch eine ganz große Angst wieder aufgemacht, da ist ein neuer Krieg ausgebrochen, wieder die Zukunft ungewiss, man hat vielleicht keinen Kontakt zur Familie, was passiert jetzt? Und dann hatte der Krieg ja sehr schnell auch viele zivile Opfer. Also das als so eine Form von Traumatisierung und dann gleichzeitig aber auch so eine große Unsicherheit. Es gab ja dann auch dieses Gefühl, das jetzt auch Muslim:innen, die in Deutschland leben, sofort sich positionieren sollten, auch wenn sie gar keinen Bezug zur der Region haben. Auch da so eine große Unsicherheit. Das heißt, es gab plötzlich so viele Gruppen, die auf eine unterschiedliche Art und Weise, sich retraumatisiert fühlten. Die sich verunsichert fühlten, die existenzielle Ängste hatten. Und eine öffentliche Diskussion, die das nicht aufnehmen konnte. Weil man sich eben gewünscht hätte, dass man einerseits eingeht auf eine Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Also eine Wahrnehmung dieses sehr schnell wachsenden Antisemitismus, aber eben gleichzeitig auch auf alle anderen betroffenen Gruppen. Es schien so unglaublich schwierig. Und bei einer Buchpräsentation hat eine Frau dann zu mir gesagt "Ja, vielleicht gab es auch auf deutsche Seite eine Form von Retraumatisierung”. Ich habe nicht ganz verstanden, was sie gemeint hat. Aber ich glaube es ging so um diese Frage: Ja wir sind eigentlich verantwortlich für die diesen Konflikt. und das steckt natürlich auch im Herzen dieser Debatte für Deutschland. Es ist ganz klar, dass Deutschland hier eine Verantwortung hat und auch eine große Rolle spielt, auch ein wichtiger Gesprächspartner ist für unterschiedliche Gruppe in Israel und Palästina. Und das ist natürlich eine super komplizierte Gemengelage. Also das ist es dann doch wieder, das war der Punkt, wo wir gesagt haben: Doch es ist auch einfach sehr kompliziert.
Frieda Ahrens:
Ja. Es ist ja jetzt über ein Jahr her. Und das Buch ist schon eine Weile draußen. Wie waren denn die Reaktionen? Und hat sich das nochmal geändert?
Mirjam Zadoff:
Also ich war jetzt eigentlich erst bei einer Buchpräsentation dabei, weil dadurch, dass es eine große Gruppe von Autor:innen gibt und drei Herausgeberinnen, teilen wir das auf. Ich habe aber bei unterschiedlichen Kontexten, auch wenn ich Lesungen zu meinem Buch hatte, lag dann auch ”trotzdem sprechen” da und ich habe immer wieder festgestellt, dass die Menschen das Buch so sehr nah bei sich halten. Also es gibt viele, die erzähle,n dass es für sie eine sehr sehr wichtige Leserfahrung war. Die Reaktionen waren jetzt eigentlich fast alle, also einerseits positiv, aber eben auch “ Das ist ein Buch das mir jetzt weitergeholfen hat, also eine persönliche Ebene” oder “das hat einfach gut getan, das zu lesen”. Weil eben, es gibt ja keine Lösungen, es sind ja nur so Momentaufnahme und man kommt da jetzt auch nicht wirklich weiter. Aber es spricht halt so ein bisschen über: So ja so kann man sich jetzt auch fühlen, das ist jetzt auch okay, sich so zu fühlen. Und auch gar nicht lösen gar nichts lösen zu müssen, weder für sich noch in dieser öffentlichen Debatte.Und da beschreiben viele Leser:innen, dass es für sie sehr wichtig ist und es ist natürlich eben auch in diesem Kontexten einer diversen Gesellschaft sehr wichtig, wo jetzt, glaube ich, eigentlich am ehesten diese Räume aufgemacht werden, die so bisschen Safer Spaces, ein bisschen Braver Spaces sind, wo man miteinander spricht, wo man miteinander ins Gespräch kommt, wo Menschen sehr reflektiert sind. Also ich glaube das, was es tatsächlich für viele, und das beschreiben ja auch einige der Autor:innen, schwierig ist, dass es eben auch Räume gibt oder Teile der Gesellschaft, wo das Thema überhaupt keine Rolle spielt. Wo das gar nicht gesehen wird, wo die eigene Sorge nicht gesehen wird, überhaupt nicht verstanden wird, warum das als komplex oder kompliziert oder als wichtig wahrgenommen wird, oder wo keine Diskussion stattfindet.
Frieda Ahrens:
Genau daran anknüpfend - das ist jetzt eine große Frage, vielleicht ist es auch zu groß - aber: Das ist ja eigentlich das Hauptproblem. Das Hauptproblem sind diese vielen Menschen, die das nicht als Thema erkennen. Die Antisemitismus nicht als Thema erkennen, die antimuslimischen Hass nicht als Thema erkennen. Wie kann das Thema denn noch mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken? Also solche Bücher sind natürlich ein Anfang, in der Hoffnung, dass viele sie lesen. Aber was kann man noch machen?
Mirjam Zadoff:
Also das, was das was in dem Buch immer wieder vorkommt ist diese Frage: Wie geht es Dir? Also dieses: Einfach erstmal wahrnehmen, jemand anderes hat vielleicht eine andere Realität und erlebt den Alltag jetzt anders als ich das tue. Und dann ist natürlich, glaube ich, das, was wirklich wichtig ist, ist darüber zu sprechen, dass eine Zivilgesellschaft Verantwortung hat. Also dass die Bekämpfung von Antisemitismus, von Antimuslimischen Rassismus, von all diesen Zuspitzungen, die jetzt auch gerade durch den Konflikt noch mal entstanden sind, das ist nicht hilft einfach nur zu sagen: Da wird etwas verboten oder da wollen wir nicht, dass etwas passiert. Klar, es gibt immer Grenzen. Aber dann zu sagen: Wir brauchen jetzt eine Zivilgesellschaft, die auch Verantwortung übernimmt. Die jetzt sagt “Moment mal, das Thema Antisemitismus betrifft uns alle” und das heißt unsere Demokratie scheitert da gerade. Wenn sich Menschen da nicht sicher fühlen, aber auch wenn z.B jetzt eben Menschen nur weil sie Muslime sind plötzlich in eine Verantwortung genommen werden, ihnen aber gleichzeitig keine Möglichkeit gegeben wird oder nicht angeboten wird, zu sagen “Da können wir mal sprechen oder da kannst du dich äußern oder deine Sorgen artikulieren”, dann funktioniert das nicht. Und ohne Zweifel müssen wir auch in dieser Frage “Wo ist der Antisemitismus? Was tut sich da jetzt gerade in Deutschland?” in unterschiedlichste Communitys gehen. Und es gibt einen einen Antisemitismusproblem bei vielen Muslim:innen, aber es gibt auch ein Rassimusproblem in der ganzen Gesellschaft. Also das Antisemitismusproblem ist in der ganzen Gesellschaft und auch das Rassimusproblem ist in der ganzen Gesellschaft. Und darauf einzugehen und damit umzugehen in Bildungs- und Kulturformaten, finde ich, ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn eine Debatte so zugespitzt und polarisiert geführt wird, gibt's immer die Gefahr, dass plötzlich keiner mehr was dazu macht. Sowohl in Bildungs- als auch in Kulturkontexten dann einfach das Thema möglichst gemieden wird und das wäre schlimm. Weil dann, glaube ich, fühlt man sich wirklich allein gelassen in einer betroffenen Rolle.
Frieda Ahrens:
Jetzt gehen wir so mit so einem negativen Konnotation aus diesem Gespräch heraus, aber vielleicht können wir ja wirklich das, was schon gesagt wurde, noch mal wiederholen. Und zwar, dass es deshalb wichtig ist, dass es solche Projekte braucht wie dieses Buch. Das ist solche Projekte braucht, womit man Menschen erreicht, wo es versucht wird, unterschiedliche Positionen auszuhalten, reflektiert wird, wo dahinter geschaut wird und nicht nur emotionalisiert wird. Danke danke Mirjam für das Gespräch und danke natürlich auch alle lieben Zuhörer:innen für euer Interesse und eure Zeit. Bis zum nächsten Mal!
Mirjam Zadoff:
Vielen herzlichen Dank.
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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.