#100 communia: “Eine Zukunft, die Lust macht” [30:32]

24. Oktober 2024

Die Gruppe "communia"
© communia

Wie kann das gute Leben für die Vielen oder sogar Alle aussehen? Das fragen der junge Berliner Think Tank communia und die BUND-Jugend in einem Sammelband. Ihre Antwort: Öffentlicher Luxus. Mit Vincent Janz von communia spricht Vanessa Guinan-Bank über Vergesellschaftung und wie eine gute Daseinsversorgung gewährleistet werden könnte, über Utopien und Zwischenschritte im Angesicht der Klimakrise, und über eine Zukunft, die Spaß macht und auf die man sich freuen kann.

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Vanessa
Heute mit Vanessa Guinan-Bank. Und wir wollen über öffentlichen Luxus sprechen. Könnt ihr euch darunter was vorstellen? Was genau das sein soll, erzählt uns gleich Vincent Janz von communia. communia ist ein junger Think Tank in Berlin, der zu wirtschaftspolitischen Themen arbeitet. Und zusammen mit der BUND-Jugend hat communia einen Sammelband herausgegeben mit Beiträgen, die sich anschauen, wie öffentlicher Luxus Antworten für eine antirassistische und gerechte sozialökologische Transformation bieten könnte. 
Hallo Vincent, schön, dass du da bist.

Vincent
Freut mich sehr, da zu sein. Danke für die Einladung.

Vanessa
Also öffentlicher Luxus. Immer, wenn ich diesen Begriff erwähnt habe, dann waren Leute irgendwie super interessiert, aber konnten sich darunter nichts vorstellen. Magst du vielleicht erst mal erzählen, was das überhaupt sein soll?

Vincent
Also öffentlicher Luxus, glaube ich, bedeutet für uns vieles. Auf der einen Seite beschreibt es erstmal eine Vision für eine Zukunft, auf die wir uns alle freuen können. Ich glaube, für viele Menschen ist es momentan sehr viel leichter, sich Zukunft vorzustellen, die prekarisiert ist, die Angst macht, die Sorge auslöst.
Und es gibt ja diesen berühmten Spruch, es ist leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Ich glaube, bei vielen jungen Menschen gerade ist das so. Und öffentlicher Luxus war unser Versuch, ein Bild zu zeichnen von einer Zukunft, die Lust macht, die Freude macht und wo man Lust hat auf eine Zukunft, in der man weiß, dass man sicher leben kann und man Zugriff hat auf die Dinge, die man nicht nur braucht, um zu leben und zu überleben, sondern, die auch wirklich ein schönes Leben für alle ermöglichen. Genau und über eine Vision hinaus, ist das auch der Versuch ein bisschen eine Art von Programmatik vielleicht, oder so Dachbegriff zu entwerfen, unter dem sich viele verschiedene Akteure, Bewegungen und Organisationen auch sammeln können, weil ich glaub, dass der Begriff einfach ganz viele Bereiche betreffen kann, in denen schon ganz viele tolle Ideen stattfinden und viele Menschen schon arbeiten und dieser Begriff öffentlicher Luxus das aber gut zusammenführen kann. Sodass man in die gleiche Richtung auch ein bisschen arbeitet.

Vanessa
Und in Eurem Buch schreibt Ihr, also konkret, dass es ein bedingungsloser, also kostenloser Zugang zu essentiellen Leistungen und Gütern sein soll. Kannst du das nochmal, damit man sich vorstellen kann, was das sein soll?

Vincent
Genau, also das war jetzt auf der Visionsebene und ganz konkret heißt öffentlicher Luxus, wie du jetzt schon erwähnt hast, der bedingungslose, das heißt also kostenlose Zugang zu all diesen Bereichen der wirtschaftlichen Daseinsvorsorge, die wir alle oder der allergrößte Teil von Gesellschaft tagtäglich nutzen und brauchen. Also, auf die wir auch angewiesen sind. Und zur gleichen Zeit auch diese Bereiche nicht nur kostenlos und günstig sozusagen zugänglich für alle zu machen, dass sie halt eben nutzbar sind und auf einem Niveau bleiben, dass man die benutzen kann, sondern, dass es Spaß macht sie zu benutzen. Und das man irgendwie… Ein Beispiel, was es für mich immer ganz konkret macht, im Mobilitätsbereich. Mit einen öffentlichen Personenverkehr rechnen können, der so gut funktioniert, der so toll ausgestattet ist, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, ein eigenes privates Auto zum Beispiel benutzen zu müssen auch oder auch erst zu wollen. Also weg mit dem ganzen Stau, in dem man die ganze Zeit steht, weg mit der ganzen Stadt, die vollgeparkt ist von Autos, sondern man kann die Haustür verlassen und zu Fuß auf die nächste Bahn, kann man zugehen und weiß auch, dass man pünktlich dahin kommt. Genau. Und ich glaube, auf ganz viele andere wirtschaftliche Bereiche kann man das auch so anwenden.

Vanessa
Und also sozusagen eine verheißungsvolle Zukunft hattet Ihr geschrieben, aber im Zuge der sozial-ökologischen Transformation. Also das ist sozusagen die Herausforderung und öffentlicher Luxus ist Eure Antwort darauf.

Vincent
Genau. Ich glaube, öffentlicher Luxus ist unsere Antwort auch auf eine Zukunft, die die sozial-ökologische Transformation ernst nimmt und das aber auch beantwortet auf einer sozial gerechten Art und Weise und auf eine Art und Weise, die weder Verzicht für die vielen in den Fokus stellt, wie ich glaube eine Politik der Grünen das zum Beispiel heutzutage oft macht. Und aber auch zur gleichen Zeit, die konkreten Überflüsse unserer Gesellschaft und vor allem auch Wirtschaft konkret anspricht und darauf zeigt, was reduziert werden muss, was sozusagen wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten können, auch aus einer ökologischen Perspektive. Und die diese Bereiche dann auch herunterfährt, was sie sowieso müssen, aber sozusagen öffentlicher Luxus macht den Schritt auch zu sagen, in Anbetracht dessen können wir das nur machen oder wir können das nur auf eine Art und Weise tun, wo die Mehrheit der Menschen nicht darunter leidet, indem wir eben auch das Öffentliche erweitern und dass es das auffangen kann. Dass man trotzdem mit einer funktionierenden Wirtschaft, mit einer funktionierenden Daseinsvorsorge rechnen kann, in Anbetracht von Klimakrise und in Anbetracht der Transformation, die wir machen müssen.

Vanessa
Und ist das auch, woher dieser Begriff kommt? Weil also das ist jetzt mit Eurem Buch das erste Mal, dass ich von öffentlichem Luxus höre. Wie kam es dazu?

Vincent
Der Begriff haben wir uns gewissermaßen abgeschaut von einem britischen Autor und Aktivisten und Journalisten George Monbiot, der hat den geprägt in England, also: Public Luxury. Und was da auch ganz spannend ist und was der auch herausstellt, so heißt auch sein Kapitel im Buch, ist dass es ein Gegenüber gibt von öffentlichem Luxus, nämlich private Suffizienz. Und das verdeutlicht auch nochmal diese Frage der sozial-ökologischen Transformation und wie die funktionieren soll.
Ich glaube, es ist irgendwie klar, dass einerseits auf einer individuellen Ebene, viele Menschen einen zum Beispiel CO2-Abdruck haben, der weit über das hinausgeht, was wir vor dem Hintergrund der Klimakrise uns erlauben können. Aber das lässt sich auch auf andere Faktoren, zum Beispiel einfach Raum, den wir einnehmen. Also wenn alle sozusagen so einen riesengroßen SUV fahren würden, wie manche Leute es tun, dann kämen wir sonst nirgendwo mehr hin. Wenn alle so eine riesengroße Villa hätten, wie manche wenige es tun, dann gäbe es einfach nicht genug physischen Platz mehr.
Und deswegen ist diese, mit dieser Gegenüberstellung von öffentlichem Luxus, private Suffizienz funktioniert, finde ich, dass es ganz gut die Frage beantwortet, nicht, dass wir sozusagen, das Private abschaffen wollen. Alle können und sollen weiterhin mit einer Sphäre des Privaten rechnen. Aber hier ist sozusagen Suffizienz die leitende Maxime auf einer individuellen Ebene. Und den Luxus, den wir weiterhin sozusagen genießen können und auf den wir uns freuen können, den suchen wir wiederum im Öffentlichen, von dem alle aber auch teilhaben können. Sei es zum Beispiel nicht mehr der private (Swimming-)Pool, was nur einigen wenigen vorbehalten ist, sondern der öffentliche Pool (Schwimmbad), wo alle hin können, der aber auch dementsprechend gestärkt und ausgebaut wird.
Es ist nicht mehr der private Elektro-SUV, sondern es ist die gut ausgebaute öffentliche Bahn. Es ist nicht mehr die große Privatvilla, sondern öffentlicher Wohnraum, der für alle irgendwie zugänglich ist und wo die Mieten konstant bleiben. Das ist auf einer individuellen Ebene.
Ich würde aber auch sagen vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation muss man aber auch auf einer systemischen Ebene schauen. Und auch das versucht öffentlicher Luxus zu beantworten. Dass auf einer eher strukturellen, systemischen Ebene, wir auch hier schauen müssen was das sozusagen bedeutet. Also wenn wir wissen, dass eine Stärkung der öffentlichen Bahn passieren muss und zur gleichen Zeit wir wissen, dass individualisierter Autoverkehr nicht die Zukunft darstellt, die wir brauchen, dann kann das auch nur so geschehen wenn zur gleichen Zeit Autokonzerne auch runtergefahren werden, abgebaut werden und vor allem konvertiert werden, um sozusagen deren, um sozusagen die Expertise und Ressourcen und finanziellen Mittel, die dort auch zur Verfügung stehen, umzuleiten, um sozusagen öffentliche Bahnen und Infrastrukturen herzustellen. Also ich glaube auch auf dieser systemischen Ebene, da kommt die Frage von Vergesellschaftung, die wir natürlich als communia auch viel bearbeiten, da setzt öffentlicher Luxus auch an. Also nicht nur individuell, sondern auch auf einer strukturellen Ebene.

Vanessa
Nur so zum Verständnis, also Suffizienz bedeutet halt Genughaben, oder?

Vincent
Genügsamkeit, genau. Ja, also ein Genughaben, nicht zu wenig haben, sondern das, was ein gutes, ein genügsames Leben ermöglicht, aber eben auch nicht darüber hinaus. Kein individueller, privatisierter Luxus, der notwendigerweise aber auch sozusagen andere ausschließt. Niemals können alle von diesem gleichen privaten Luxus, der heute vorherrscht und mit dem das Wort Luxus ja auch konnotiert ist eigentlich – das ist ja sozusagen auch ein bisschen das Provozierende an dem Titel – das können wir uns niemals leisten. Sondern im Privaten muss Suffizienz herrschen und im Öffentlichen: Luxus.

Vanessa
Du hast jetzt schon viel zu den konkreten Vorstellungen angesprochen und da kommen wir auch gleich noch zu. Aber ich wollte noch einen Punkt ansprechen und zwar sprecht Ihr oder schreibt Ihr, dass das Fehlen einer verheißungsvollen Zukunft die Menschen in die Arme rechter Parteien treibt. Kannst du dazu noch ein bisschen mehr sagen?

Vincent
Ich denke, dass einer der Hauptgründe, weshalb Menschen heutzutage rechte Parteien wählen oder nach rechts rücken, weshalb der Rechtsruck so dominiert und uns allen so Angst macht oder vielen von uns Angst macht heutzutage, ist das katastrophale Wegbrechen von öffentlichen Dienstleistungen und Infrastrukturen der vergangenen Jahre. Was auch ganz fundamental damit zusammenhängt, wie viel in gerade diesen wirtschaftlichen Bereichen privatisiert wurde und gerade zum Beispiel auch im ländlichen Raum dadurch essentielle Infrastrukturen wegbrechen, marode werden, nicht mehr benutzt werden.
Die Leute merken sozusagen, dass diese Dienstleistungen, auf die sie angewiesen sind, wegfallen und von Seiten der Politik wird das dann sehr effektiv oder von rechter Politik wird das sehr effektiv dann ausgespielt und auf Migration zum Beispiel hingelegt. Aber aus unserer Perspektive ist der eigentliche Grund dafür, dass die Menschen merken, dass auch die gegenwärtige Politik nicht dazu beiträgt, dass diese Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden oder gestärkt werden.
Und öffentlicher Luxus ist halt auch darauf eine ganz konkrete Antwort. Also unabhängig davon, wo man ist, ob Land oder Stadt, geht es darum, diese öffentlichen Dienstleistungen zu stärken, weil eben gerade die vielen Menschen, also die allermeisten Menschen auf sie angewiesen sind.

Vanessa
Und das ist dann sozusagen auch der konkrete Gegenentwurf, den ihr meint, zur aktuellen Politik?

Vincent
Ich glaube, genau, sowohl zur aktuellen Politik als auch zur rechten Politik, die ja auch auf dem Vormarsch ist.

Vanessa
Wir waren jetzt ja eben schon beim Mobilitätssektor. Vielleicht machen wir da nochmal ein bisschen weiter. Also du hast angesprochen, dass es halt sowohl sozusagen öffentlicher Luxus bedeutet, sowohl Veränderungen im Privaten als auch im Strukturellen. Und hast darüber gesprochen, was das auch für Autohersteller bedeutet. Da ist ja immer so die Antwort darauf, naja, und was ist mit den ganzen guten Jobs, die da wegfallen? Wie sähe das denn in eurer Vorstellung von öffentlichem Luxus im Mobilitätssektor zum Beispiel aus?

Vincent
Ich finde ein sehr, sehr gutes Beispiel, was das ganz konkret macht, wenn auch nur im Kleinen, ist die Fabrik Collettivo, der Name fällt mir gerade nicht ein, GKN in Italien, die von der Schließung bedroht waren, die Autoteile hergestellt haben. Und die Arbeiter, also die Belegschaft von dieser Fabrik sich gewährt haben und die Produkte, die sie hergestellt haben, einfach abgeändert haben und sozusagen jetzt mit dem gleichen Wissen und dem technologischen Wissen und der Expertise, die sie haben, in dem Fall, ich glaube, Lastenräder und tatsächlich auch Solarpanele herstellen.
Und ich glaube das Beispiel macht ganz deutlich aber ich glaube, dazu ließe sich auch, wenn man das hinaufskaliert... Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat da viele Studien auch schon zu veröffentlicht, dass die Arbeiter*innenschaft von zum Beispiel einem Konzern wie VW in Wolfsburg von dem Wissen her, von den Ressourcen, die sie haben und von der Stellung, die sie auch in ihrem Betrieb einnehmen, genauso gut Trams herstellen könnten, Züge oder Busse als SUVs oder kleine Mini-Autos. Und ich glaube, insofern ist sozusagen das Wissen und die Rolle von der Belegschaft essentiell. Die brauchen sich überhaupt keine Sorgen machen, dass ihr Arbeitsplatz davon betroffen wird. Sondern die sollen eine zentrale Rolle einnehmen in der Konversion von diesem ganzen Mobilitätsbetrieb, die es sowieso braucht, also, die wir irgendwann machen müssen.
Also ähnlich sieht es ja auch im Energiebereich aus. Wenn wir davon sprechen, dass wir nicht mehr Braunkohle verbrennen können, dass wir nicht mehr fossile Energien verbrennen können, dann ist trotzdem auch hier das Wissen von der Belegschaft, von Arbeiter*innen in diesem Bereich essentiell. Dass sie auch sozusagen nicht von der Energiewende benachteiligt werden, wie ich ehrlicherweise, was ich ehrlicherweise sehen würde, wenn sozusagen die Energiewende weiterhin von privaten Konzernen so vollzogen wird, wie es gerade wird, habe ich eher das Gefühl, dass die Arbeiter*innenschaft sich mehr Sorgen machen muss, wie es um ihre Zukunft steht, als wenn sie wüssten, dass sie zentrale Akteure wären darin, wie diese Energiewende oder die Mobilitätswende eigentlich vollzogen werden soll.

Vanessa
Naja, und das fand ich auch einen interessanten Punkt, der irgendwie nicht oft genug zur Sprache kommt. Ihr schreibt auch, dass beim Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln bräuchte man natürlich auch viel mehr Busfahrer*innen, Zugfahrer*innen und diese ganzen Sachen, die wahrscheinlich auch attraktivere Jobs werden müssten, um eine Option für viele Leute zu sein.

Vincent
Auf jeden Fall. Also genau, öffentlicher Luxus ist ja auch nicht nur ein alleiniges Programm. Also ich glaube sozusagen, die Stärkung von Arbeiter*innenrechten, die Tarifverhandlungen, die man zum Beispiel im Verkehrsbereich letztes Jahr verfolgen konnte, bei „Wir fahren zusammen“, sind natürlich auch kleine Bausteine die dahin führen können und diese ganzen Sachen, die dahin führen. Aber sozusagen die Jobs, die dann sozusagen in diesem öffentlichen Sektor angeboten werden und wo auch ein riesengroßer Bestandteil von Menschen auch jetzt schon eigentlich drin beschäftigt sind, nur halt unter meist total horrenden Bedingungen, das sind Jobs, die wir unbedingt halten müssen und die auch entsprechend gestärkt und gut ausgebildet werden müssen.

Vanessa
Dann lass uns mal zum Wohnen gehen, weil in Berlin geht ja irgendwie kaum ein Tag vorbei, dass man nicht über die schlimme Wohnsituation und den schlimmen Wohnungsmarkt reden muss. Wie sähe denn öffentlicher Luxus beim Wohnen aus?

Vincent
Ich glaube, natürlich muss man, um das zu beantworten, erstmal die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ nennen, auf die wir uns natürlich oft beziehen bei communia und die uns eigentlich schon seit unserer Gründung inspiriert hat.

Vanessa
Sagst du vielleicht was dazu, weil vielleicht kennen nicht alle die.

Vincent
Genau, „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ ist eine Initiative, eine Bürger*inneninitiative hier in Berlin, die es sich zum Ziel gemacht hat, private Immobilienkonzerne, die über 3000 Wohnungen besitzen, also jetzt nicht nur die Person, die neben dem eigenen Haus noch ein weiteres hat oder so, sondern Immobilienkonzerne, große Immobilienkonzerne, die über 3000 Wohnungen besitzen, zu enteignen und zu vergesellschaften, das heißt in Gemeineigentum zu überführen und zu demokratisieren. Es gibt einen Artikel 15 im Grundgesetz, der besagt, dass Grundboden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden können. Das heißt, das Ganze passiert sozusagen auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes. Dieser Artikel ist allerdings noch nie angewandt worden. Und diese Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ versucht das jetzt zum ersten Mal anhand von der Wohnungsfrage, dem Mietwahnsinn hier in Berlin und sieht sozusagen die Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes, über die momentan die privaten Konzerne verfügen, als einzig adäquates Mittel, um tatsächlich einen langfristig bezahlbaren und für alle zugänglichen Wohnraum zu garantieren.
Und nicht nur die Initiative sieht das selbst so, sondern mittlerweile auch eine von der Politik einberufene Expert*innenkommission, wo Jurist*innen, Banker*innen und Wissenschaftler*innen einheitlich alle auch gesagt haben, dass das tatsächlich so ist: dass es nicht nur rechtlich möglich ist, wie es das Grundgesetz auch sagt und wie es die Initiative auch von Anfang an gesagt hat, sondern, dass es auch tatsächlich sozusagen das adäquateste Mittel dafür ist.

Vanessa
Und diese Expert*innenkommission wurde einberufen, nachdem es 2021 einen Volksentscheid in Berlin, der dafür gestimmt hat.

Vincent
Genau, der mehrheitlich angenommen wurde, 59 Prozent, und der immer noch nicht umgesetzt wurde, weil die regierende Politik sich natürlich weigert, den Wille von den Bewohner*innen von Berlin, der Mehrheit von den Bewohner*innen von Berlin umzusetzen. Die stellen sich konsequent dagegen und das ist natürlich erstmal ein riesengroßer Skandal.
Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ ist jetzt gerade dabei, ein Gesetz selbst zu formulieren und wird demnächst, hat sich schon angekündigt, einen zweiten Volksentscheid an den Start bringen. Dieses Mal mit einem selbst formulierten und rechtlich geprüften Gesetz, wie das denn alles konkret aussehen soll. Und eigentlich ist es so, oder es ist so, dass wenn dieser Volksentscheid ein zweites Mal erfolgreich ist, dass das darin stehende Gesetz dann auch sofort zur Geltung gebracht werden soll.

Vanessa
Aber lass uns mal bei der Vision vom öffentlichen Luxus bleiben. Wie sehe, also kannst du uns so ein bisschen ein Bild zeichnen?

Vincent
Also ich stelle es mir so vor, wenn ich mir jetzt meine Zukunft vorstelle als Person, die in der Großstadt wohnt, dann brauche ich und bin ich angewiesen auf meinen kleinen, also meinen privaten Raum.
Also ich, genau, die Großstadt ist groß, sie ist trubelig und ich glaube, wir alle müssen auch damit rechnen können, dass wir uns zurückziehen können. Das ist elementar wichtig. Ich brauche aber jetzt auch nicht sonderlich viel. Ich brauche irgendwie eine Wohnung, in der ich mich ein bisschen bewegen kann, in der es im besten Falle Tageslicht gibt und vielleicht sogar ein kleiner Balkon und in der vor allem die Miete bezahlbar ist, wo ich nicht mehr jeden Monat aufs Neue Sorgen machen muss, ob ich überhaupt die Miete zahlen kann oder zum Zweifel dann, wenn das nicht der Fall sein sollte, meine Wohnung verlassen muss, verdrängt werde, also genau, immer weiter nach außen ziehen muss, etc. Es wäre auch schön, wenn ich sozusagen bei der Gestaltung von meinem Wohnblock und vielleicht auch der Umgebung darin die Möglichkeit hätte, ein Stück weit mitzubestimmen. Also, wann und wie renoviert wird, was in den Laden da unten im Wohnblock noch reinkommen soll, dass diese ganzen Entscheidungen nicht von irgendeinem privaten Vermieter oder einem Konzern sozusagen getroffen werden, sondern die Möglichkeit besteht, dass ich auch da mitentscheiden kann.
Auch das ist sozusagen ein fundamentaler Bestandteil von Vergesellschaftung. Es meint eine radikale und grundlegende Demokratisierung von der Entscheidungsverfügung innerhalb der Bereiche, um die es geht.

Vanessa
Ja, da haben wir noch gar nicht so viel drüber gesprochen und das kam ja auch sehr häufig vor. Also was bedeutet es denn oder wie können wir denn überhaupt Gesellschafts-, verschiedene Gesellschaftsbereiche weiter demokratisieren? Sowas wie Wohnen, Mobilität, Care, Sorge-Sektor, war das auch angesprochen in eurem Buch?

Vincent
Also ich glaube, das ist eine Frage, die enorm komplex ist, je nachdem in welchem Bereich man sie stellt und also auch in jedem Bereich ist sie komplex, aber sozusagen es ist erst mal wichtig zu sehen, dass je nachdem, wo man diese Frage stellt, sie auch andere Antworten liefern muss.
Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ hat jetzt sozusagen auf die Wohnungsfrage schon, wie ich finde, sehr überzeugend ein Konzept vorgelegt, wie denn diese demokratische Beteiligung aussehen könnte. Nämlich, dass auf unterschiedlichen Ebenen, sozusagen von der Ebene von Kleinsiedlungen bis über größeren Gebieten, wie zum Beispiel einem Kiez und darüber hinaus, jeweils auf unterschiedlichen Ebenen, Räte eingeführt werden, in denen immer auch Mieter*innen auch mitentscheiden bzw. Mitspracherecht haben. Und je nachdem wie groß die Entscheidungen sind, auch auf der unterschiedlichen Ebene angesetzt wird. Sozusagen, wenn es eine Entscheidung ist, die die ganze Stadt betrifft, dann muss vermutlich die höchste Entscheidungsinstanz, in dem Fall wäre es der Verwaltungsrat, wo auch natürlich andere Akteure, nämlich also über die Mieter*innen hinaus, zum Beispiel der Senat, Politik, aber auch die Beschäftigten von der AÖR, von der Einrichtung, die die Wohnungen verwaltet, die müssen natürlich auch darin vertreten sein, aber Mieter*innen sollen immer auch ein Mitspracherecht haben.
Und je tiefer man geht, je näher man kommt auf die Ebene, die die Leute in ihrem Alltag auch betreffen, also sozusagen, wenn ich aus meinem Wohnblock die Haustür verlasse und in die Straße hoch und runter schaue und dann sehe, wie das hier gestaltet wird, desto mehr Entscheidungen werden auch, also desto mehr Entscheidungskompetenz haben die Mieter*innen vor Ort auch zu entscheiden, wie das hier gestaltet werden soll. So funktioniert das Prinzip.

Vanessa
Ich finde das immer ein sehr attraktives Prinzip und gleichzeitig denke ich mir dabei dann immer, boah, das wird ganz schön zeitintensiv.

Vincent
Wahrscheinlich. Es ist es ja auch so, niemand muss da rein und das entscheiden. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Möglichkeit besteht, dass man Mitbestimmungen hat, aber es ist ja auch nicht so, dass man sozusagen immer von allen und zu jeder Zeit eine Meinung oder irgendwie eine Vorliebe sozusagen mitreinbeziehen muss sozusagen. Ich glaube, das Ganze kann auch ziemlich, gerade wenn man dieses sogenannte Subsidiaritätsprinzip verfolgt, also nämlich, dass sozusagen Entscheidungen, die auf einer möglichst kleinen Ebene getroffen werden können, auch dort getroffen werden, braucht das, glaube ich, gar nicht so viel Zeit und Kapazitäten, sozusagen diese Prozesse zu machen.

Vanessa
Wir kommen jetzt langsam zum Ende hin. Lass uns noch mal auf die Frage von Eigentum und Besitz zu sprechen kommen, weil das mit Vergesellschaftung ja ein wiederkehrendes Thema in allen Beiträgen ist. Kannst du vielleicht nochmal ein bisschen klarer machen, was das für Eigentum – was öffentlicher Luxus für Eigentum und Besitz bedeutet?

Vincent
Also erstens glaube ich, was immer wieder auch die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ zu hören bekommt, was viele, die mit dem Begriff Vergesellschaftung und damit verbunden dem Begriff Enteignung zu hören bekommen, ist, dass es niemandem hier darum geht, den eigenen privaten Besitz, den man hat, über den man verfügt, den wegzunehmen oder so.
Ich habe jetzt auch viel am Anfang von dem Podcast darüber geredet, dass es keine private SUVs mehr geben braucht oder so. Und dazu stehe ich, ich finde das stimmt. Es geht mir aber jetzt nicht darum zu sagen, dass ich einer einzelnen Person dessen Auto wegnehmen möchte, sondern es geht darum, mit der Eigentumsfrage auf einer strukturellen Ebene zu schauen, wie Wirtschaft gestaltet wird und vor allem, dass in den Bereichen der wirtschaftlichen Daseinsvorsorge privates Eigentum nicht die Form ist, die dazu förderlich ist, dass die wirtschaftlichen Bereiche in unserem Interesse, das heißt in dem Interesse von den Menschen, die davon abhängig sind und diese Dienstleistungen und Produkte jeden Tag nutzen, dass es im Interesse von diesen Menschen passiert.
Und die Eigentumsfrage auf der Ebene zu stellen und zu sagen, private Konzerne, sei es Vonovia, sei es Deutsche Wohnen oder sei es von mir aus auch VW, haben nicht in erster Linie das Interesse, ein erstens sicheres, also jetzt im Mobilitätsbereich ein sicheres, ein ökologisches, ein kostengünstiges, oder ein noch nicht mal besonders effizientes Verkehrssystem herzustellen. Sondern die wollen aus ihrem eigenen Interesse erstmal Profit schlagen. Und wenn wir sozusagen mit der Eigentumsfrage darangehen, dann können wir auch sozusagen – Vergesellschaftung meint immer ein Dreischritt: Enteignung, Demokratisierung und Gemeinwohlorientierung. Dann können wir auch andere Aspekte mit reinnehmen, wie sozusagen diese Bereiche verwaltet werden sollen und mit welcher Ausrichtung, in wessen Interesse diese Bereiche verwaltet werden sollen.

Vanessa
Und die Idee von öffentlichem Luxus ist sozusagen, dass es im Interesse der Allgemeinheit…

Vincent
Von uns allen, von den vielen. Ja genau.

Vanessa
Also ihr sagt am Anfang und auch im Nachwort steht das öffentlicher Luxus keine Utopie ist. Ich habe mir halt beim Lesen mega oft gedacht so, ja genau in so einer Welt möchte ich leben..

Vincent
Schon mal schön.

Vanessa
...aber der politische Wind scheint ja eher in die entgegengesetzte Richtung zu wehen. Ist es dann nicht doch irgendwie eine Utopie?

Vincent
Ich finde Vergesellschaftung... Anders: Ich finde öffentlicher Luxus ist natürlich irgendwo insofern eine Utopie, als dass es Stand jetzt eine Vision ist, die noch nicht der Fall ist, die weit weg scheint und die es zu erkämpfen gilt, auf jeden Fall. Ich glaube, was für uns als communia wichtig war, ich habe vorhin erwähnt, dass wir drei Themenbereiche haben, Vergesellschaftung, öffentlicher Luxus und demokratische Wirtschaft und dass diese sozusagen im Dreischritt stehen.
Und öffentlicher Luxus beschreibt für uns tatsächlich einen Zwischenstand in meiner Utopie. Meine Utopie ist die demokratische Wirtschaft. Eine Wirtschaft, die so funktioniert, eine Wirtschaft, die von uns gehört und die uns allen dient. Und öffentlicher Luxus ist, glaube ich, schon ein ziemlich konsequenter und ein ziemlich großer Schritt in die Richtung, aber eben erst ein Zwischenschritt, nämlich die Vergesellschaftung von der wirtschaftlichen Daseinsvorsorge, von den Bereichen, die wir alle brauchen.
Und ich glaube, ob man jetzt das mag oder nicht, hat Eva von Redecker in ihrem Nachwort, glaube ich, geschrieben, dass öffentlicher Luxus konsequent zu Ende gedacht einfach nur eine radikale und ernst genommene sozialdemokratische Forderung ist. Kann man sich jetzt auch erst streiten drüber.
Aber ich finde schon, dass das, naja, es dockt halt sowohl an Bewegungen, die es gerade gibt, siehe „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Es könnte aber auch genauso gut sich in ein politisches Programm umsetzen, für das einige Parteien, die leider gerade nicht sozusagen in der Macht sind, das sehe ich voll ein, aber die das sehr gut aufnehmen könnten, die Programmatik darin.
Aber ich würde auch behaupten, dass wenn andere Parteien, Parteien auch eher der Mitte, die Grünen, die SPD, wenn sie tatsächlich etwas Konsequentes gegen den Rechtsruck tun wollen würden. Und irgendwie erstens schauen wollen, dass sie nicht selbst irgendwie immer weiter, immer kleiner werden, immer weniger Wähler*innen bekommen und dem Rechtsruck auch konsequent etwas entgegenzusetzen, dann muss man diese Sachen, also die Daseinsvorsorge und die Stärkung dieser für die Menschen ernst nehmen.
Ich glaube, ein ganz tolles Beispiel dafür ist die KPÖ in Österreich, die über das Thema Wohnen und nur über das Thema Wohnen oder hauptsächlich über dieses Thema ziemlich beeindruckende Erfolge erzielen konnte.

Vanessa
Ja, Du hast Eva von Redecker im Nachwort, die das Nachwort geschrieben hat, schon angesprochen. Sie schreibt auch, dass die Bewährungsprobe für öffentlichen Luxus sein wird, ob der Zugang tatsächlich universal und bedingungslos ist. Und das fand ich auch noch mal so ein Reality-Check auf einer Art.

Vincent
Voll. Es geht bei öffentlichem Luxus nicht darum, den Sozialstaat, wie wir ihn gerade jetzt haben, weiterzuführen oder so und genau, irgendwie gerade den Menschen, die auch nicht viel haben, das Mindeste anzubieten, sodass sie sozusagen gerade bei oder im meisten Fall unter der Armutsgrenze leben können oder so. Es geht darum, diese Bereiche so gut zu stärken, dass die Leute was zu gewinnen haben davon und dass es sozusagen ein Mehr ist als jetzt gerade. Und ich glaube, das ist auch nur so möglich, wenn man rausnimmt, dass... Ich glaube, der Punkt, dass der universelle Zugang dazu ist, ein ganz wesentlicher Punkt davon, dass diese Vision so funktionieren kann, wie sie es soll.
Egal, ob das jetzt für Menschen unterhalb der Armutsgrenze gilt, ob aber auch für migrantische Menschen gilt, die zum Beispiel, wenn sie noch keinen deutschen Pass haben, keine Sozialversicherung bekommen oder so. Im Care-Bereich bedeutet es eine Stärkung von dem Gesundheitssektor so weit, dass er für alle, die hier leben, zugänglich ist, unabhängig davon, woher man kommt, ob man die Papiere dafür hat oder sich das leisten kann.

Vanessa
Du meintest ja, dass es gilt, für diese Vision zu kämpfen. Wie kann man denn dafür kämpfen?

Vincent
Ich glaube, und das macht das Buch hoffentlich ein Stück weit, es ist wichtig klarzumachen, dass es in vielen verschiedenen Bereichen die Frage zu stellen gilt, wie eigentlich über diese Bereiche verwaltet wird, von wem und in wessen Interesse das geschieht. Und wenn wir uns alle kollektiv die Frage stellen, dass private Akteure, private Konzerne mit eigenem Gewinninteresse nicht sozusagen in unserem Interesse diese Bereiche verwalten, sondern dass wir das eigentlich alle viel besser können und uns gemeinsam organisieren, um das zu tun, siehe „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, siehe andere Bereiche in der Wirtschaft, wo das ebenso passiert, dann gibt es einfach wirklich viel für uns alle zu gewinnen. Und die paar Leute, die sich davor fürchten müssen, etwas zu verlieren, würde ich sagen, fallen in unserer Vision erstmal leicht. Und zweitens gilt es uns, diesen Reichtum aber auch zurückzuholen.

Vanessa
Super. Vielen Dank, Vincent.

Vincent
Sehr, sehr gerne. Danke für die Einladung.

Vanessa
Sehr gerne. Und wer mehr zu öffentlichem Luxus lesen will, kann ja mal ins Buch schauen. Da werden noch einige weitere Themen im Zusammenspiel mit öffentlichem Luxus besprochen. Unter anderem der Agrarsektor und Ernährung, der Gesundheits- und Caresektor, sowie Rassismus und Räumlichkeit. Der Sammelband „Öffentlicher Luxus“, herausgegeben von communia und der BUND-Jugend ist bei Dietz Berlin erschienen.

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Der Text wurde KI-gestützt transkribiert.