Die Oberschule In den Sandwehen in Corona-Zeiten: Die Gänge sind leer. Auch hinter den meisten Türen ist keine Person zu hören. Die Ausnahme bildet ein Klassenzimmer im obersten Stockwerk: Hier sitzen neun Schüler*innen der zehnten Klasse und lauschen gebannt den Worten eines großgewachsenen Mannes in einem dunklen Blazer.
„Ich rechne euch hoch an, dass ihr heute länger geblieben seid“, sagt Bas Böttcher, Slam-Poet, gebürtig aus Bremen-Findorff. Diesen Morgen ist er aus seiner Wahlheimat Berlin angereist, um den Zehntklässler*innen die Macht des gesprochenen Wortes zu vermitteln, denn: „Vieles funktioniert im Klang, das im Buch nicht funktioniert.“ Es ist der Auftakt des Poetry Slam-Workshops, der in den folgenden Wochen online über die digitale Textwerkstatt 1000stimmen weitergeführt wird.
In der ersten Runde sollen die Schüler*innen Überschriften überlegen, die eigentlich nicht logisch sind. „Damit wird Interesse geweckt, weil der Zuhörer sich fragt, wie das möglich sein kann“, sagt Böttcher. Nachdem sich die Schüler*innen Gedanken gemacht haben, hagelt es kreative Einfälle: „Der durchsichtige Mensch“, „Das runde Herz“, „Das kalte warme Wasser“ oder „Weltfrieden“, sagt Attila schließlich.
Die nächste Aufgabe ist schon ein bisschen schwieriger: Die Jugendlichen sollen eine Geschichte erzählen bzw. eine Idee skizzieren. Schnell fangen die Schüler*innen an, aufgeregt zu reden, während sie ihre Gedanken durch den Raum werfen. Schließlich bittet Böttcher alle im Kreis zu stehen. Zuerst wird Maksos Spruch: „Heute gekauft. Morgen schon verbraucht“ im Chor geflüstert, dann normal ausgesprochen und schlussendlich geschrien. „Jetzt stellt euch vor, das würden Leute zusammen auf einer Demo sagen“, sagt Böttcher. „Keine Gemeinschaft. Allein sind wir im Alltag“, schlägt Nico vor. Böttcher dazu: „Super! Jetzt schreit das bitte so laut, dass es die Politiker und die App-Entwickler hören.“
Vom Papier zum Handy
Nach der Mittagspause melden sich die Schüler*innen auf 1000stimmen.org an. Dabei gibt es erstmal ein paar technische Probleme, doch nach kurzer Zeit haben es alle geschafft. Schließlich ploppen auf dem Smartboard acht weiße Tabs auf, die von jedem*r einzelnen Schüler*in mit Text gefüllt werden können. So wird Böttcher zukünftig auch in Berlin sehen können, was die Schüler*innen schreiben.
Die nächste Aufgabe schreiben die Schüler*innen also am Tablet oder auf dem Handy. Böttcher bittet Sona vorzulesen. „Nein, meins ist voll schlecht“, sagt sie. „Sehr gut. So macht man das im Show Business: Immer die Erwartungen niedrig halten und sie dann übertreffen“, lobt Böttcher. Er hat recht: Der Text bekommt Applaus, Erwartung übertroffen. Schließlich ist der erste Tag vorüber. Böttcher ist sehr zufrieden: „Jetzt habt ihr die Messlatte für den Workshop echt hochgeschraubt. Aber seid nicht zu perfektionistisch. Es ist gut, etwas auszuprobieren und auch mal was falsch zu machen.“ Mit diesem weisen Rat werden die Zehntklässler*innen in die Winterkälte entlassen.